Brüllbeton - Kriminalroman
Akten auf den Tisch. Hauptkommissar Kroll griff zunächst zu der Bleistiftskizze, die der Polizeizeichner von dem Gesicht der Toten anhand der Beweisfotos angefertigt hatte.
»Muss eine schöne Frau gewesen sein. Eigentlich zu schade, um so jung zu sterben.«
»Genau«, fiel Hopfinger ihm ins Wort. »Und ich muss leider gestehen, dass ich meinen Anfangsverdacht, es handle sich um ein perverses Sexualdelikt, revidieren musste.«
Er reichte Kroll einen schmalen Aktenordner. »Hier, der Obduktionsbericht.« Hopfinger öffnete ihn und präsentierte seinem Chef die Fotos der entstellten Leiche.
»Danke«, wies ihn Kroll zurück. Er hatte schon immer Probleme mit den grausamen Polizeifotos. »Ich möchte keine Details hören. Es reicht, wenn Sie mir das Wesentliche zusammenfassen. Ich bin sicher, Sie werden mir den Kern der Sache darlegen.«
»Selbstverständlich«, ereiferte sich Hopfinger. »Sie können sich ganz auf mich verlassen.« Er klappte die Akte zu und fuhr selbstbewusst fort: »Hier handelt es sich eindeutig um âºBodypackingâ¹ mit tödlichem Ausgang.«
Der Assistent schaute kurz zu seinem Vorgesetzten hinüber, um sich zu vergewissern, dass dieser ihm inhaltlich folgte. Kroll machte einen geistesabwesenden Eindruck. Er schaute zum Fenster hinaus. Ihn schien mehr zu interessieren, was sich drauÃen auf dem Hof abspielte.
Eine rothaarige Dame von elegant gepflegtem ÃuÃeren hatte sich dem Tisch des vermeintlichen Schulschwänzers genähert. à 40, schätzte Kroll. Wohl seine Mutter. Oder gar seine Lehrerin? Doch die folgende Szene passte nicht dazu.
Der junge Mann sprang bei ihrem Anblick auf und umarmte sie stürmisch. Als hätten die beiden ihre Umwelt vergessen, küssten sie sich lang und leidenschaftlich. Dann setzten sie sich eng Seite an Seite und hielten sich die Hände unterm Tisch, was man von oben trotz der Entfernung deutlich sehen konnte.
Wie ein taufrisches Liebespaar, fand Kroll. Trotz des offensichtlichen Altersunterschieds. Aber warum nicht? Generationenübergreifende Liebe.
Hopfinger räusperte sich, weil er merkte, dass sein Vorgesetzter nicht so ganz bei der Sache war, und setzte die kleine Dienstversammlung in energischem Ton fort.
»Fassen wir zusammen, was wir bislang über den Fall wissen. Die Tote wurde nackt aufgefunden, was ihre Identifizierung erschwert. Alter etwa 30 bis 35 Jahre. Fundort im Kiesbett unter der Betondecke der A 20 im Bereich der Wakenitzüberquerung. Die Obduktion erbrachte folgendes Ergebnis. Todesursache: Ãberdosis des neuartigen Dopingstoffs AICAR. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war die Tote ein Drogenkurier, der den Stoff in Beuteln verpackt geschluckt hatte.«
Hopfinger warf wieder einen kurzen Blick auf seinen Chef, um sicherzugehen, dass dieser ihm geistig folgte. Doch der schaute immer noch zum Fenster hinaus. Also betonte der Assistent: »Bodypacking nennt man das. Der Kurier muss das Zeugs in Plastikbeuteln verpackt schlucken. Wenn auch nur einer dieser Beutel im Magen aus welchen Gründen auch immer aufplatzt, endet das in der Regel tödlich«.
Kroll schien sich mehr für das Liebespaar im Innenhof zu interessieren. Dort hatte sich eine lebhafter Diskussion entsponnen, die sich, wie es aussah, zu einem handfesten Streit zu entwickeln schien. »Ja, ja«, meldete sich Kroll aus seinen Betrachtungen zurück. »Bodypacking. Ich weiÃ. Schlimme Sache, so was, wennâs schief läuft. Muss ein schmerzhafter Tod sein.«
»Genau«, bestätigte ihm sein Gegenüber. »Und in diesem Fall ist es sogar noch schlimmer. Man hat der Frau nach ihrem Tod den Bauch aufgeschlitzt, wahrscheinlich, um die intakten Beutel zu sichern.«
»Dann war es wohl kein perverses Sexualverbrechen, wie Sie anfangs am Telefon vermuteten?«
»Nein, Chef«, gestand Hopfinger kleinlaut. »Da war ich etwas voreilig.«
Er nippte an seinem Mineralwasser, rückte mit seinem Stuhl näher an den Hauptkommissar ran und offerierte ihm erneut die Bilder von der Leiche. »Aber möglich wärâs ja gewesen. Hier, wenn Sie sich die Fotos mal anschauen. Man hat wirklich den Eindruck, als handle es sich um eine sadistische Tat.«
Kroll hatte nach wie vor keine Lust, die Aufnahmen zu studieren. »Mag sein, aber im Moment interessieren mich eher die Tatsachen aus dem Obduktionsbericht, weniger Ihre Eindrücke. Also, was gibt es
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