Brüllbeton - Kriminalroman
sonst noch?«
Dennoch riskierte Kroll einen kurzen Blick auf das Foto der Toten. Er stutzte. Merkwürdig, ihr Gesicht hatte eine gewisse Ãhnlichkeit mit dem der rothaarigen Frau dort unten am Gartentisch. Oder täuschte er sich?
»Sie hat Einstiche am Arm, die von Heroinspritzen kommen könnten und am linken Schulterblatt ein Tattoo«, plapperte Hopfinger in berufsmäÃig sachlichem Ton weiter. »Ein Schmetterling mit gebrochenen Flügeln. Recht ungewöhnliches Motiv. Vielleicht hilft es uns bei der Identifizierung der Toten.«
Kroll machte sich über das nächste Stück Obstkuchen her. In der Tat, eine vage Ãhnlichkeit zwischen der Frau dort unten und dem Foto konnte nicht geleugnet werden. Kroll überlegte, wie er unauffällig mit der Fremden in Kontakt treten konnte. Doch dafür war es zu spät. Er sah, wie die Frau ihre Hand von dem jungen Mann löste, in ihre Handtasche griff, einen Geldschein herausholte und ihn ihrem Freund mit einer erregten Geste auf den Tisch knallte. Dann erhob sie sich brüsk und ging eiligen Schritts fort, ohne sich um seine Reaktion zu kümmern. Der Jugendliche rückte auf seinem Stuhl hin und her, als fühlte er sich ziemlich unwohl. Dann steckte er das Geld ein und rief die Bedienung. Nach wenigen Minuten war auch er verschwunden.
»Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Kroll in geistesabwesendem Ton seinen Assistenten. Doch dann war er rasch wieder bei der Sache. »Ach ja, Tattoo, Identifizierung. Das wäre eine geeignete Aufgabe für Sie, lieber Hopfinger. Das werden Sie bestimmt schnell gelöst haben.«
Hopfinger blühte angesichts des unerwarteten Lobs förmlich auf. Er hatte schon erste Ãberlegungen in diese Richtung angestellt. Doch ehe er sie vor seinem Chef ausbreiten konnte, fuhr dieser fort: »Ich kümmere mich derweil ein wenig um den Fundort. Haben Sie inzwischen festgestellt, wer für die Betonarbeiten dort zuständig war?«
»Aber sicher doch«, antwortete Hopfinger, sichtbar stolz auf seine zuverlässige Recherchearbeit. »Sämtliche Bauarbeiten werden von der Hoch und Tief Müller GmbH durchgeführt. Firmensitz im Gewerbegebiet Roggenhorst in der Nähe der Autobahnausfahrt Lübeck-Moisling. Inhaber ein gewisser Verdinand B. Müller, der wegen seines Bs im zweiten Vornamen auch Beton-Müller genannt wird.«
»Gute Vorarbeit, Hopfinger. Aber eines müssen Sie mir noch erklären. Was ist AICAR? Ich bin sicher, Sie können das einem Laien wie mir mit wenigen Worten erklären.«
»Gern, Chef. Ich habe mich da schlaugemacht.« Hopfinger holte einen Zettel aus der Akte hervor und zitierte. »AICAR steht für Aminoimidazol-Carboxamid-Ribonukleosid. Eine Dopingsubstanz, die man seit den Olympischen Spielen in Peking 2008 kennt. Sie sorgt für eine erhöhte Glukoseaufnahme in der Zelle. Dadurch können vermehrt phasische Typ-II-Muskelfasern â die sogenannten âºfast twitchâ¹Â â in tonische Typ-I-Fasern â also die âºslow twitchâ¹Â â umgewandelt werden, was die Ausdauerleistung der Muskulatur fördert.«
»Alles klar. Ihr Fachwissen beeindruckt mich, mein lieber Hopfinger. Aber ginge es auch eine Stufe populärwissenschaftlicher?«
»Selbstverständlich. Wir haben es hier mit dem sogenannten Gen-Doping zu tun. Das ist, polulärwissenschaftlich ausgedrückt, so, als würde man ein minderwertiges Gen durch ein leistungsfähigeres ersetzen. Bislang lagen für AICAR nur tierexperimentelle Befunde vor. Demnach rannten die als Marathonmäuse berühmt gewordenen gedopten Versuchstiere auf Laufbändern 44 Prozent länger als eine Kontrollgruppe unbehandelter Tiere. Neu in unserem Zusammenhang ist, dass die Anwendung dieser Dopingmethode illegal auch auf Menschen angewendet wird, vor allem auf Sportler, bei denen es weniger um die Sprintleistung als um die Ausdauerleistung geht.«
»Also beispielsweise Langstreckenläufer, FuÃballspieler und Radfahrer, würde ich sagen«, unterbrach Kroll.
»Ja, genau. Sie haben es erfasst, Chef. In China existiert bereits eine zugelassene Gentherapie. In Europa ist man politisch noch zu vorsichtig. Aber es ist zu befürchten, dass die Unterwelt der Doping-Szene in dieser Beziehung keine Skrupel kennt.«
Kroll genügte der Bericht seines Assistenten fürs Erste. Er leerte seine Tasse und rief zur Bedienung:
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