Brunetti 01 - Venezianisches Finale
Beweis dafür sein könnte, dass ich eigentlich keinen Grund hatte, ihn umzubringen.«
»Ja, das könnte man daraus schließen«, stimmte Brunetti scheinbar gleichmütig zu und fragte dann: »Hatten Sie schon früher einmal mit ihm zusammengearbeitet?«
»Ja. Vor sechs Jahren in Berlin.«
»Und Ihre Homosexualität gab damals keinen Anlass zu Differenzen?«
»Nein, nachdem ich erst einmal so berühmt war, dass er gern mit mir arbeiten wollte, war das kein Problem. Helmuts Rolle als eine Art Schutzengel westlicher Moral oder biblischer Vorstellungen war bekannt, aber man kann in diesen Kreisen nicht lange überleben, wenn man sich weigert, mit Homosexuellen zu arbeiten. Helmut hat einfach seine eigene Art von Burgfrieden mit uns gemacht.«
»Und Sie mit ihm?«
»Sicher. Als Musiker war er der Perfektion so nah, wie ein Mensch es nur sein kann. Es lohnte sich, den Menschen in Kauf zu nehmen, um mit dem Musiker arbeiten zu können.«
»Gab es noch irgendetwas, was Ihnen an dem Menschen nicht gefiel?«
Santore dachte lange nach, bevor er antwortete. »Nein, sonst gibt es nichts, was ich über ihn weiß und was ihn mir unsympathisch hätte machen können. Ich mag die Deutschen nicht sonderlich und er kam mir sehr deutsch vor. Aber ich rede nicht so sehr von mögen oder nicht mögen. Es ist diese Art moralischer Überheblichkeit, die er ausstrahlte, als sei es - als sei er - ein Licht in finsteren Zeiten.« Santore verzog das Gesicht bei seinem letzten Satz. »Nein, das ist nicht richtig. Es muss an der späten Stunde liegen, oder am Cognac. Außerdem war er ein alter Mann und jetzt ist er tot.«
Brunetti bezog sich noch einmal auf eine Frage von vorhin und wollte wissen: »Was haben Sie ihm bei Ihrer Auseinandersetzung gesagt?«
»Das Übliche, was man in so einer Situation sagt«, antwortete Santore müde. »Ich nannte ihn einen Lügner und er mich einen Schwuli. Dann habe ich ein paar unschöne Dinge über die Produktion, über die Musik und über sein Dirigat gesagt und er dieselben Dinge über meine Regiearbeit. Das Übliche.« Er ließ sich matt in seinem Sessel nach hinten sinken.
»Haben Sie ihm gedroht?«
Santore warf Brunetti einen abrupten Blick zu. Der Schreck über diese Frage war ihm deutlich anzusehen. »Er war ein alter Mann.«
»Tut es Ihnen leid, dass er tot ist?«
Wieder eine Frage, auf die der Regisseur nicht vorbereitet war. Er überlegte, bevor er sie beantwortete. »Nein, dass dieser Mann tot ist, sicher nicht. Für seine Frau tut es mir Leid, ja. Es wird...« Er beendete den Satz nicht. »Dass der Musiker tot ist, ja, das tut mir sehr leid. Er war alt und er stand am Ende seiner Laufbahn. Ich glaube, das wusste er.«
»Wie meinen Sie das?«
»Seine Art zu dirigieren, sie hatte irgendwie nicht den alten Glanz, nicht das alte Feuer. Ich bin ja kein Musiker, ich kann nicht genau sagen, was es war. Aber es fehlte etwas.« Er hielt inne und schüttelte den Kopf. »Aber nein, vielleicht ist es nur meine Verärgerung.«
»Haben Sie mit jemandem darüber gesprochen?«
»Nein, man beschwert sich nicht über Gott.« Wieder hielt er inne, dann meinte er: »Ja, doch, Flavia gegenüber habe ich es erwähnt.«
»La Signora Petrelli?«
»Ja.«
»Und was meinte sie dazu?«
»Sie hat schon früher häufig mit ihm zusammengearbeitet. Sie war beunruhigt darüber, wie er sich verändert hatte und hat das auch einmal mir gegenüber geäußert.«
»Was hat sie gesagt?«
»Nichts Besonderes, nur, dass es ihr vorkäme wie bei der Arbeit mit einem jüngeren Dirigenten, einem mit wenig Erfahrung.«
»Hat sonst noch jemand diese Beobachtung gemacht?«
»Ich glaube nicht. Jedenfalls hat niemand etwas zu mir gesagt.«
»War Ihr Freund Saverio heute Abend im Theater?«
»Saverio ist in Neapel«, entgegnete Santore kühl.
»Ich verstehe.« Es war die falsche Frage gewesen. Die selbstverständliche Vertrautheit zwischen ihnen war verflogen. »Wie lange bleiben Sie noch in Venedig, Signor Santore?«
»Ich fahre normalerweise dann ab, wenn die Premiere erfolgreich über die Bühne gegangen ist. Aber Helmuts Tod ändert die Situation. Wahrscheinlich werde ich noch ein paar Tage bleiben, bis der neue Dirigent ganz mit der Inszenierung vertraut ist.« Als Brunetti schwieg, fragte er: »Kann ich nach Florenz zurückfahren?«
»Wann?«
»In drei oder vier Tagen. Ich muss mir mindestens noch eine Vorstellung mit dem neuen Dirigenten ansehen. Aber dann würde ich gern nach Hause fahren.«
»Ich sehe keinen
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