Brunetti 01 - Venezianisches Finale
eigentlich waren. Auf drei Seiten umgaben Kanäle die vier Stockwerke, die Rückseite stützte eine säkularisierte Kirche. Er ging nur bei offiziellen Anlässen hin: Heiligabend, um Fisch zu essen und Geschenke auszutauschen, am Namenstag des Conte Orazio, an dem sie aus irgendeinem Grunde Fasan aßen und wiederum Geschenke brachten und zum Redentorefest, wozu sie pasta e fagioli aßen und sich das Feuerwerk über der Piazza San Marco ansahen. Seine Kinder besuchten ihre Großeltern zu diesen Anlässen mit Begeisterung und er wusste, dass sie auch sonst öfter hingingen, allein oder mit Paola. Er redete sich gern ein, es seien vor allem der Palazzo und die unzähligen Erkundungsmöglichkeiten, die er bot, konnte sich aber des Verdachts nicht erwehren, dass sie ihre Großeltern schlicht liebten und sich wohl bei ihnen fühlten, zwei Phänomene, die Brunetti völlig rätselhaft waren.
Der Conte war ›im Finanzgeschäft‹ In den siebzehn Jahren seiner Ehe mit Paola hatte Brunetti nie eine andere Beschreibung für den Beruf ihres Vaters gehört. Er wurde nicht als Finanzier bezeichnet, zweifellos, weil man dahinter womöglich etwas Manuelles hätte vermuten können, wie Geldzählen oder ins Büro Gehen. Nein, der Conte war ›im Finanzgeschäft‹ wie De Beers ›im Diamanten-‹ oder Thyssen ›im Stahlgeschäft‹.
Die Contessa hingegen war ›in der Gesellschaft‹, was bedeutete, dass sie die Eröffnungsvorstellungen der vier großen Opernhäuser Italiens besuchte, Benefizkonzerte fürs italienische Rote Kreuz organisierte und jedes Jahr zur Karnevalszeit einen Maskenball für vierhundert Gäste gab.
Brunetti seinerseits verdiente als Commissario bei der Polizei etwas über drei Millionen Lire im Monat, seiner Schätzung nach nur wenig mehr als der Betrag, den sein Schwiegervater monatlich dafür hinblätterte, dass sein Boot vor dem Palazzo liegen durfte. Vor zehn Jahren hatte der Conte eine Zeitlang versucht, Brunetti dazu zu überreden, dass er die Polizeiarbeit aufgab und bei ihm ins Bankgeschäft einstieg. Er wies immer wieder darauf hin, dass Brunetti sein Leben nicht in Gesellschaft von Steuerschwindlern, Frauenquälern, Zuhältern, Dieben und Perversen verbringen sollte. Die Angebote hatten an einem Weihnachtsabend ihr plötzliches Ende gefunden, als Brunetti der Geduldsfaden riss und er erklärte, wenn sie auch mit denselben Leuten zu tun hätten, so bleibe ihm doch wenigstens der Trost, sie festnehmen zu können, während der Conte sie zum Essen einladen müsse.
So fragte er Paola denn abends etwas beklommen, ob sie vielleicht zu der Party gehen könnten, die anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung französischer Impressionisten im Dogenpalast am nächsten Abend bei ihren Eltern stattfand.
»Aber woher wusstest du denn von dieser Party?«, fragte Paola erstaunt.
»Ich habe es in der Zeitung gelesen.«
»Bei meinen Eltern und du liest davon in der Zeitung?« Das schien Paolas atavistische Auffassung von der Familie zu kränken.
»Ja, aber fragst du sie?«
»Guido, sonst muss ich dir drohen, damit du wenigstens zum Weihnachtsessen mitgehst und jetzt willst du plötzlich zu einer ihrer Parties? Warum?«
»Weil ich mit der Sorte von Leuten reden möchte, die zu so was hingehen.«
Paola, die gerade Arbeiten ihrer Studenten korrigierte, als er hereinkam, legte sorgsam den Füller hin und bedachte ihn mit einem Blick, den sie sich sonst für grobe Sprachschnitzer aufhob. Wenn derartiges in den Arbeiten unter ihrer Feder auch nicht ungewöhnlich war, aus dem Munde ihres Mannes war sie es nicht gewohnt. Sie sah ihn lange an, während sie eine jener Antworten formulierte, die er oft ebenso liebte wie fürchtete und sagte dann: »Ich glaube kaum, dass sie etwas dagegen hätten, wenn du in dieser eleganten Form darum bittest.« Damit nahm sie ihren Füller wieder auf und beugte sich über ihre Arbeit.
Es war spät und er wusste, dass sie müde war, also machte er sich am Tresen zu schaffen und kochte Kaffee. »Du weißt doch, dass du nicht schlafen kannst, wenn du so spät noch Kaffee trinkst«, sagte sie, nachdem sie den Geräuschen entnommen hatte, was er tat.
Er ging auf dem Weg zum Herd an ihr vorbei und zerwühlte ihr Haar. »Ich finde schon etwas, womit ich mich beschäftigen kann.«
Sie grunzte, strich energisch einen Satz durch und fragte: »Warum willst du diese Leute treffen?«
»Um soviel wie möglich über Wellauer zu erfahren. Ich habe über sein Genie gelesen, über seine Karriere
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