Brunetti 01 - Venezianisches Finale
und seine Ehefrauen, aber ich weiß eigentlich immer noch nicht, was er für ein Mensch war.«
»Und du glaubst«, sagte sie spitz, »dass die Sorte von Leuten, die zu den Parties meiner Eltern geht, etwas über ihn weiß?«
»Ich möchte soviel wie möglich über sein Privatleben erfahren und diese Leute wissen solche Sachen.«
»Das sind die Dinge, über die du in Stop lesen kannst.« Er war immer wieder aufs Neue erstaunt, dass ein Mensch, der englische Literatur an der Universität unterrichtete, so vertraut mit der Regenbogenpresse sein konnte.
»Paola«, sagte er. »Ich möchte Dinge über diesen Mann erfahren, die wahr sind. In Stop liest man über Mutter Theresas Abtreibung.«
Sie grunzte wieder und blätterte eine Seite um, wobei sie eine ärgerliche Spur blauer Kleckse hinterließ.
Er machte den Kühlschrank auf, holte die Milch heraus, schüttete etwas in einen Topf und stellte ihn zum Heißwerden auf den Herd. Aus langer Erfahrung wusste er, dass sie es ablehnen würde, eine Tasse Kaffee zu trinken, auch wenn er noch so viel Milch hineinschüttete und steif und fest behaupten würde, sie könnte danach nicht schlafen. Aber sobald er seinen trank, würde sie daran nippen, schließlich den größten Teil trinken und dann schlafen wie ein Stein. Er holte eine Tüte mit Keksen aus dem Schrank, die sie für die Kinder kauften und sah nach, wie viele noch übrig waren.
Als der Kaffee in den oberen Teil der Maschine gesprudelt war, schüttete er ihn in einen Becher, fügte die dampfende Milch und weniger Zucker hinzu, als er eigentlich mochte und ging damit zum Tisch, wo er sich Paola gegenübersetzte. Geistesabwesend und ganz in ihre Arbeit vertieft, griff sie nach seinem Becher und nippte, noch bevor er selbst getrunken hatte. Als sie ihn wieder abgestellt hatte, legte er die Hand darum, nahm ihn aber nicht hoch. Sie drehte eine Seite um, griff nach dem Becher und sah auf, als er nicht losließ.
»Hä?«, machte sie.
»Nicht, bevor du versprichst, deine Mutter anzurufen.«
Sie versuchte, seine Hand weg zu schieben. Als er nicht losließ, kritzelte sie mit ihrem Stift ein Schimpfwort darauf. »Du musst einen Anzug anziehen.«
»Ich ziehe immer einen Anzug an, wenn ich zu deinen Eltern gehe.«
»Schon, aber du siehst nie besonders glücklich aus, wenn du einen anhast.«
»Also gut«, meinte er lächelnd. »Ich verspreche, einen Anzug anzuziehen und glücklich darin auszusehen. Rufst du deine Mutter an?«
»Na schön«, lenkte sie ein. »Aber das mit dem Anzug habe ich ernst gemeint.«
»Ja, mein Schatz.« Er ließ den Kaffeebecher los und schob ihn ihr hin. Als sie einen weiteren Schluck genommen hatte, fischte er einen Keks aus der Tüte und tunkte ihn in den Kaffee.
»Du bist abscheulich«, sagte sie und lächelte dann.
»Ein Bauer eben«, stimmte er zu und steckte den Keks in den Mund.
Paola redete nie viel darüber, wie es gewesen war, in einem Palazzo aufzuwachsen, mit englischem Kindermädchen und einem Heer dienstbarer Geister, aber wenn er überhaupt etwas über diese Jahre wusste, dann immerhin soviel, dass sie nie hatte eintunken dürfen. Er sah das als großen Fehler in ihrer Erziehung an und bestand darauf, dass ihre Kinder es durften. Sie hatte sich, wenn auch sehr zögernd, einverstanden erklärt. Keines ihrer Kinder zeigte, worauf er nie hinzuweisen versäumte, ernste Anzeichen moralischen oder psychischen Verfalls.
An der Art und Weise, wie sie hastig einen Kommentar ans Ende der Seite kritzelte, merkte er, dass sie für heute mit ihrer Geduld am Ende war.
»Ich habe diese Dummköpfe so satt, Guido«, erklärte sie, während sie ihren Füller zuschraubte und auf den Tisch warf. »Ich hätte es fast lieber mit Mördern zu tun. Die kann man wenigstens bestrafen.«
Der Kaffeebecher war leer, sonst hätte er ihn ihr hingeschoben. Stattdessen stand er auf und holte eine Flasche Grappa aus dem Schrank. Es war der einzige Trost, der ihm im Moment einfiel.
»Wunderbar«, sagte sie. »Erst Kaffee und jetzt Grappa. Wir werden kein Auge zutun.«
»Sollen wir versuchen, uns gegenseitig wach zu halten?«, fragte er. Sie strahlte.
11.
Am nächsten Morgen war er um acht Uhr in der Questura, unter dem Arm die Tageszeitungen, die er rasch durchsah. Es gab wenig neue Informationen, das meiste war schon am Tag zuvor gesagt worden. Die Zusammenfassungen über Wellauers Karriere waren länger, die Rufe, der Mörder müsse zur Strecke gebracht werden, schärfer, aber es war nichts dabei, was
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