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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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zum Gehen wandte, machte keiner von beiden Anstalten, ihn zu begleiten, obwohl beide salutierten.
    Als er zur Questura zurückkam, erzählte der Portier ihm, Vice-Questore Patta wolle ihn unverzüglich in seinem Büro sehen.
    »Gesu Bambino «, entfuhr es Brunetti kaum hörbar, ein Ausdruck, den er von seiner Mutter gelernt hatte, die ihn, genau wie er, nur dann benutzte, wenn man sie über die Grenzen menschlicher Geduld hinaus nervte.
    An der Tür seines Vorgesetzten klopfte er und wartete sorgsam erst das » Avanti von drinnen ab, bevor er eintrat. Wie erwartet, posierte Patta hinter seinem Schreibtisch, vor sich einen Stapel Akten ausgebreitet. Er ignorierte Brunetti erst einmal und las weiter in dem Bericht, den er gerade in der Hand hielt. Brunetti begnügte sich damit, die verblichenen Fresken an der Decke zu studieren.
    Plötzlich blickte Patta auf, täuschte Überraschung vor und fragte: »Wo sind Sie?«
    Brunetti spielte nun seinerseits den Verwirrten und tat, als fände er die Frage seltsam, wollte es sich aber nicht anmerken lassen. »In Ihrem Büro.«
    »Nein, nein, wo sind Sie in dem Fall?« Er winkte Brunetti zu einem der Ormolu-Stühle vor seinem Schreibtisch, griff nach seinem Federhalter und begann damit auf die Platte zu klopfen.
    »Ich habe mich mit der Witwe unterhalten und mit zwei Leuten, die in der Garderobe des Maestro waren. Ich habe den Arzt gesprochen und ich kenne die Todesursache.«
    »Das weiß ich alles«, sagte Patta, verstärkte den Rhythmus seines Klopfens und machte kein Hehl aus seiner Verärgerung. »Mit anderen Worten, Sie haben nichts Wichtiges erfahren?«
    »So ist es, ja, so könnte man es ausdrücken.«
    »Wissen Sie, Brunetti, ich habe mich mit diesen Ermittlungen ausgiebig befasst und ich glaube, ich sollte Ihnen besser den Fall abnehmen.« In Pattas Stimme schwang ein drohender Unterton, als hätte er die ganze Nacht in seiner Machiavelli-Ausgabe geblättert.
    »Ja.«
    »Ich könnte einen anderen damit betrauen. Vielleicht würden wir dann ernsthafte Fortschritte machen.«
    »Ich glaube nicht, dass Mariani im Augenblick an etwas Wichtigem arbeitet.«
    Nur mit äußerster Selbstbeherrschung gelang es Patta, bei der Erwähnung des Namens nicht zusammenzuzucken. Der jüngere der beiden anderen Commissari war ein Mann von untadeligem Charakter und unerschütterlicher Dummheit, der seinen Rang bekanntermaßen als Teil der Mitgift seiner Frau bekommen hatte, die eine Nichte des früheren Bürgermeisters war. Sein anderer Kollege war, wie Brunetti wusste, mit Ermittlungen über den Drogen-Handel im Hafen von Marghera beschäftigt. »Oder vielleicht könnten Sie ihn selbst übernehmen«, schlug er vor und fügte mit aufreizender Verspätung hinzu: »Signore.«
    »Ja, das ist immer noch eine Möglichkeit«, meinte Patta, der die Ungezogenheit entweder nicht bemerkt oder entschieden hatte, sie zu ignorieren. Er nahm eine Schachtel russische Zigaretten mit dunklem Papier vom Schreibtisch und steckte eine in seine Zigarettenspitze aus Onyx. Sehr hübsch, dachte Brunetti, farblich abgestimmt »Ich habe Sie kommen lassen, weil ich einige Anrufe von der Presse und von Leuten in hohen Positionen hatte«, sagte er, wobei er die ›hohen Positionen‹ betonte. »Man ist sehr besorgt darüber, dass Sie gar nichts unternommen haben.« Diesmal lag die Betonung ganz auf dem ›Sie‹.
    Er zog anmutig an seiner Zigarette und blickte Brunetti über den Schreibtisch hinweg an. »Haben Sie gehört? Man ist gar nicht glücklich.«
    »Das kann ich durchaus verstehen. Ich habe ein totes Genie und keinen Schuldigen.«
    Irrte er sich, oder sah er Patta diesen letzten Satz still für sich wiederholen, vielleicht, um ihn nachher beim Essen ganz nebenbei fallen zu lassen? »Ja, genau«, sagte Patta. Seine Lippen bewegten sich wieder. »Und keinen Schuldigen gefunden.« Er gab seiner Stimme einen tiefen Klang. »Ich möchte, dass sich das ändert. Ich will einen Schuldigen sehen.« Brunetti hatte den Mann noch nie so klar seine Vorstellung von Gerechtigkeit äußern hören. Vielleicht würde er, Brunetti, das beim Mittagessen fallenlassen?
    »Von jetzt an möchte ich jeden Morgen« - Patta hielt inne und versuchte offenbar, sich an die Bürozeiten zu erinnern - »um acht Uhr einen schriftlichen Bericht auf meinem Schreibtisch haben«, sagte er. Sein Gedächtnis hatte ihn nicht im Stich gelassen.
    »Jawohl. Wäre das dann alles?« Für Brunetti machte es keinen Unterschied, ob schriftlich oder mündlich; er

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