Brunetti 01 - Venezianisches Finale
Sie war einfach, ich weiß nicht recht, kühler, solange die Signora dabei war, besonders, wenn sie mit ihr redete.«
»Und wann war das?«
»Als wir ankamen. Wir fragten, ob wir uns in der Wohnung umsehen und seine Sachen durchgehen dürften. So wie sie uns geantwortet hat, ich meine die Signora, klang es, als ob es ihr nicht recht passte. Aber sie sagte, wir sollten nur unsere Arbeit tun und dann hat sie die Haushälterin gerufen und ihr gesagt, sie soll uns zeigen, wo seine Sachen sind. Und wie sie da miteinander redeten, kam mir die Haushälterin, na ja, kalt vor. Später, als sie sich mit uns unterhalten hat, war es ein bisschen besser. Sie wurde nicht gerade herzlich - schließlich ist sie Belgierin - aber immerhin war sie zu uns etwas freundlicher als zur Signora.«
»Haben Sie später noch einmal mit der Signora gesprochen?«
»Kurz bevor wir gegangen sind. Wir hatten die Papiere bei uns. Es hat ihr nicht gefallen, dass wir sie mitgenommen haben. Es war nur ein Blick, aber wir hatten beide dieses Gefühl. Wir haben gefragt, ob wir die Papiere mitnehmen dürfen. Das mussten wir, es ist Bestimmung.«
»Ja, ich weiß«, knurrte Brunetti. »Noch etwas?«
»Ja«, tönte Riverre.
»Was?«
»Als wir die Schränke und Schubladen durchsucht haben, hatte sie nichts dagegen. Da hat sie die Haushälterin mitgeschickt, ist nicht einmal selber mitgegangen. Aber als wir in das andere Zimmer gingen, wo die Papiere waren, da kam sie mit und die andere musste draußen warten. Es hat ihr nicht gepasst, dass wir uns das ganze Zeug angesehen haben, die Papiere und das alles.«
»Und was war es?«
»Sah offiziell aus. Alles in Deutsch. Wir haben es zum Übersetzen mitgebracht.«
»Ja, ich habe den Bericht gesehen. Was ist mit den Papieren geschehen, nachdem sie übersetzt waren?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Alvise. »Entweder sind sie noch beim Übersetzen, oder sie wurden ihr zurückgeschickt.«
»Riverre, könnten Sie das für mich herausfinden?«
»Jetzt gleich, Commissario?«
»Ja, jetzt gleich.«
»Gut.« Er machte eine Bewegung, die wohl einem Salutieren ähneln sollte und löste sich betont langsam vom Tresen.
»Und, Riverre«, rief Brunetti ihm nach. Riverre drehte sich um, in der Hoffnung, zurückgerufen zu werden und sich so den Gang zur Questura und die zwei Treppen sparen zu können. »Wenn die Papiere da sind, möchte ich, dass sie mir in mein Büro geschickt werden.«
Als er weg war, nahm Brunetti sich eine der Brioches, die vor ihnen auf einem Teller lagen und biss ein Stück ab. Er machte Arianna ein Zeichen, ihm noch eine Tasse Kaffee zu bringen. »Ist Ihnen noch irgend etwas aufgefallen, solange Sie in der Wohnung waren?«, fragte er Alvise.
»Was meinen Sie, Commissario?« Als ob sie nur auf die Dinge achten sollten, derentwegen man sie hingeschickt hatte.
»Alles. Sie haben die Spannung zwischen den beiden Frauen erwähnt. Hat eine von ihnen sich merkwürdig benommen?«
Alvise dachte kurz nach, biss von seiner Brioche ab und sagte: »Nein, Commissario.« Als er sah, dass Brunetti enttäuscht war, fügte er hinzu: »Nur, als wir die Papiere mitgenommen haben.«
»Haben Sie eine Ahnung, warum?«
»Nein, Commissario. Sie war nur so anders als vorher, als wir seine persönlichen Sachen durchgesehen haben, als ob das gar keine Rolle spielte. Ich hätte eigentlich eher gedacht, dass es den Leuten nicht so lieb ist, wenn man in Kleidern herumsucht, meine ich. Aber Papiere sind doch bloß Papiere.« Als er sah, dass diese letzte Bemerkung Brunettis Interesse erregte, wurde er etwas ausführlicher. »Aber vielleicht hängt das ja damit zusammen, dass er ein Genie war. Natürlich verstehe ich nichts von solcher Musik.« Brunetti machte sich auf das Unvermeidbare gefasst. »Die einzige Sängerin, die ich persönlich kenne, ist Mina und sie hat nie mit ihm gesungen. Aber wie gesagt, wenn er berühmt war, dann sind die Papiere vielleicht wichtig. Es könnte was drinstehen über, wissen Sie, über Musik.«
In dem Moment kam Riverre zurück. »Tut mir leid, Commissario, aber die Papiere sind zurückgeschickt worden.«
»Wie? Mit der Post?«
»Nein, die Übersetzerin hat sie selbst hingebracht. Sie meinte, die Witwe würde einige davon brauchen.«
Brunetti richtete sich auf und zog seine Brieftasche heraus. Bevor einer der beiden Uniformierten protestieren konnte, legte er zehntausend Lire auf den Tresen.
»Danke, Commissario«, tönte es wie aus einem Munde.
»Schon in Ordnung.«
Als er sich
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