Brunetti 01 - Venezianisches Finale
würde nichts zu berichten haben, bis er ein klareres Bild von dem Mann hatte, der umgebracht worden war. Genie oder nicht, die Antwort lag immer in der Person.
»Nein, das ist nicht alles. Was haben Sie heute vor?«
»Ich gehe zur Beerdigung. Sie findet in etwa zwanzig Minuten statt. Und dann möchte ich mir seine Papiere einmal selbst ansehen.«
»Ist das alles?«
»Ja.«
Patta schnaubte verächtlich. »Kein Wunder, dass wir nicht weiterkommen.«
Das schien das Signal für das Ende ihres Gespräches zu sein, daher erhob sich Brunetti. Auf dem Weg zur Tür überlegte er, wie weit er wohl kam, bevor Patta ihn an den schriftlichen Bericht erinnerte. Er war vielleicht noch drei Schritte von der Tür entfernt, als er hörte: »Denken Sie daran, um acht Uhr.«
Durch das Gespräch mit Patta konnte Brunetti erst kurz vor elf an der Kirche San Moise sein. Das schwarze Boot mit dem blumenbedeckten Sarg hatte schon festgemacht und drei Männer in blauen Anzügen waren damit beschäftigt, den hölzernen Sarg auf eine Rollplattform zu heben, auf der sie ihn durch die Kirchentür bringen würden. In der Menge vor der Kirche sah er ein paar bekannte venezianische Gesichter, die üblichen Reporter und Fotografen, aber nicht die Witwe, sie musste schon in der Kirche sein.
Als die drei Männer zur Kirchentür kamen, trat ein vierter zu ihnen und sie hoben den Sarg mit geübter Leichtigkeit auf ihre Schultern und trugen ihn über die beiden flachen Stufen ins Innere. Brunetti war unter denen, die ihnen folgten. Er beobachtete, wie die Männer den Sarg durch den Mittelgang nach vorn trugen und auf einem flachen Gestell vor dem Hauptaltar absetzten.
Brunetti fand einen Platz am Ende einer Reihe im hinteren Teil der vollbesetzten Kirche. Mit etwas Mühe konnte er zwischen den Köpfen der vor ihm Sitzenden die erste Reihe sehen, wo die Witwe, ganz in Schwarz, zwischen einem Mann und einer grauhaarigen Frau saß; wahrscheinlich das Paar, das er mit ihr im Theater gesehen hatte. Hinter ihr saß, allein in einer Reihe, eine andere schwarz gekleidete Frau, die Haushälterin, wie Brunetti annahm. Obwohl er nicht hätte sagen können, was für eine Messe er erwartet hatte, war Brunetti erstaunt über die schlichte Zeremonie. Das Bemerkenswerteste war das Fehlen jeglicher Musik, nicht einmal die Orgel spielte. Die vertrauten Worte tönten über die Köpfe der Menge hinweg, nach uraltem Ritus wurden Weihwasser versprengt und Segnungen gesprochen. Bei dieser schlichten Form war die Messe rasch vorüber.
Brunetti wartete am Ende seiner Reihe, als der Sarg vorbei getragen wurde, wartete, bis die Witwe und die anderen Trauernden die Kirche verlassen hatten. Draußen ging ein Blitzlichtgewitter los und Reporter umringten die Witwe, die sich an den älteren Mann neben ihr drängte.
Ohne nachzudenken, bahnte Brunetti sich einen Weg durch die Menge und nahm ihren anderen Arm. Er erkannte einige der Fotografen, sah, dass sie auch ihn erkannten und wies sie an, sich zurückzuziehen. Sie gehorchten und ließen einen Gang zu den Booten offen, die an der Seite des Campo lagen. Brunetti stützte Signora Wellauer, führte sie zum Anleger, half ihr ins Boot und folgte ihr in die Kabine.
Das ältere Paar kam ihnen nach; die grauhaarige Frau legte den Arm um die Schultern der jüngeren und der Mann setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. Brunetti stellte sich an die Kabinentür und sah zu, wie das Boot mit dem Sarg ablegte und langsam durch den schmalen Kanal glitt. Als sie sich ein gutes Stück von der Kirche und der Menge entfernt hatten, bückte er sich und trat in die Kabine.
»Vielen Dank«, sagte Signora Wellauer, die jetzt weinte und keine Anstalten machte, ihre Tränen zu verbergen.
Es gab nichts, was er hätte sagen können.
Das Boot fuhr in den Canal Grande und drehte nach links Richtung San Marco ab, wo sie auf dem Weg zum Friedhof vorbei mussten. Brunetti ging zurück zur Kabinentür und schaute nach vorn, weg von dem Kummer drinnen. Der Campanile glitt vorbei, das ornamentierte Geviert des Dogenpalastes und dann diese heiter-sorglosen Kuppeln. Als sie sich dem Rio dell'Arsenale näherten, stieg Brunetti an Deck und fragte den Steuermann, ob er ihn am Anleger absetzen könnte. Dann ging er zurück zur Kabine, wo die drei leise miteinander redeten.
»Dottor Brunetti«, sagte die Witwe.
Er wandte sich ihr zu.
»Vielen Dank. Das wäre wirklich zuviel gewesen vorhin.«
Er nickte nur zustimmend. Das Boot begann den großen Bogen nach
Weitere Kostenlose Bücher