Brunetti 01 - Venezianisches Finale
Comeback nach dem Krieg, aber ihre Stimme war nicht mehr dieselbe. Also hörte sie auf zu singen. Papà glaubt zu wissen, dass sie in Venedig wohnt. Stimmt das?«
»Ja. Ich habe mit ihr gesprochen. Konnte dein Vater sich an noch etwas erinnern?«
»Nur, dass er Wellauer einmal vor etwa fünfzehn Jahren begegnet ist. Er mochte ihn nicht, konnte aber nicht direkt sagen, warum. Er mochte ihn einfach nicht.«
Brunetti hörte an Micheles Tonfall den Wechsel vom Freund zum Journalisten. »Hilft dir das irgendwie weiter, Guido?«
»Ich weiß es noch nicht, Michele. Ich wollte mir einfach ein Bild von dem Mann machen und ich wollte wissen, wie das mit der Santina war.«
»Gut, das weißt du nun.« Micheles Antwort klang kurz angebunden. Er hatte aus dem letzten Satz den Polizisten herausgehört.
»Michele, hör mal, es könnte mir durchaus weiterhelfen, aber ich weiß es einfach noch nicht.«
»Gut, gut. Wenn es so ist, dann ist es ja gut.« Er konnte sich nicht dazu durchringen, um den Gefallen zu bitten.
»Wenn sich etwas daraus ergibt, rufe ich dich an, Michele.«
»Klar, tu das, Guido. Es ist spät und du willst sicher wieder schlafen. Sag mir Bescheid, wenn du noch was brauchst, ja?«
»Versprochen. Und vielen Dank, Michele. Sag auch deinem Vater vielen Dank von mir.«
»Er dankt dir. Er konnte sich dadurch wieder nützlich und wichtig vorkommen. Gute Nacht, Guido.«
Bevor Brunetti noch etwas antworten konnte, wurde am anderen Ende aufgelegt. Er machte das Licht aus und schlüpfte wieder unter die Decke, erst jetzt merkte er, wie kalt es im Zimmer war. Im Dunkeln sah er das Foto in Clemenza Santinas Behausung vor sich, das sorgfältig arrangierte Dreieck, in dem die drei Schwestern posierten. Eine war seinetwegen gestorben, die andere hatte sich durch ihre Liaison mit ihm womöglich die Karriere verdorben. Nur die jüngste war ihm entkommen und dazu hatte sie nach Argentinien gehen müssen.
19.
Am nächsten Morgen, noch bevor Paola wach war, tapste Brunetti in die Küche, wo er ziemlich verschlafen Kaffee aufsetzte. Anschließend ging er ins Bad und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Beim Abtrocknen mied er den Blick des Mannes im Spiegel. Vor der ersten Tasse Kaffee traute er keinem.
Er kam genau in dem Augenblick in die Küche zurück, als der Kaffee überkochte. Er hielt sich nicht einmal damit auf zu schimpfen, riss nur den Topf von der Flamme und drehte das Gas ab. Dann goss er sich Kaffee in eine Tasse, löffelte drei Stück Zucker hinein und trat mit der Tasse in der Hand auf die Terrasse, die nach Westen ging. Vielleicht gelang es der morgendlichen Kühle, ihn wach zu machen, falls der Kaffee es nicht schaffte.
Stoppelbärtig und zerknittert stand er draußen und blickte zu der Stelle am Horizont, wo die Dolomiten anfingen. Es musste nachts ziemlich geregnet haben, denn die Berge waren aufgetaucht, hatten sich über Nacht herangeschlichen und standen wie hingezaubert in der klaren Morgenluft. Noch vor dem Abend würden sie wieder verschwunden sein, dem Blick entzogen durch die Rauchwolken, die ständig von den Fabriken auf dem Festland hochstiegen, oder durch die Dunstschleier, die von der Lagune hereindrifteten.
Von links riefen die Glocken von San Polo zur Frühmesse. Unter ihm, in dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wurden die Vorhänge zurückgezogen und ein nackter Mann erschien am Fenster. Er merkte nicht, dass Brunetti ihn von oben beobachtete. Plötzlich wuchsen dem Mann noch ein Paar Hände mit roten Fingernägeln, die sich von hinten um ihn schlangen. Er lächelte, trat vom Fenster zurück und die Vorhänge schlossen sich hinter ihm.
Die Morgenkühle wurde langsam beißend und trieb Brunetti in die Küche zurück, wo er die Wärme ebenso genüsslich wahrnahm wie die Tatsache, dass Paola inzwischen am Tisch saß und weit attraktiver aussah, als jemand morgens vor neun eigentlich aussehen durfte.
Sie wünschte ihm fröhlich guten Morgen; er antwortete mit einem Grunzen. Dann stellte er seine leere Kaffeetasse in den Spülstein und griff nach einer zweiten mit heißer Milch, die Paola für ihn bereitgestellt hatte. Nachdem die erste ihn dem Wachzustand etwas näher gebracht hatte, gelang es dieser zweiten vielleicht ganz.
»War das Michele, der heute Nacht angerufen hat?«
»Hm.« Er fuhr sich übers Gesicht, trank von seinem Kaffee. Sie zog sich vom Ende des Tisches eine Zeitschrift heran und blätterte darin herum, während sie an ihrem eigenen Kaffee nippte. Noch
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