Brunetti 01 - Venezianisches Finale
finden und zur Rechenschaft zu ziehen.« Paola hatte ihm oft gesagt, dass man von einem Deutschen nur etwas bekommen konnte, wenn man ihm mit Recht und Gesetz kam. Die schnelle Reaktion seines Gesprächspartners zeigte ihm, dass sie offenbar Recht hatte.
»In dem Fall helfe ich Ihnen gern.«
»Was war das für eine Untersuchung?«
»Wie gesagt, Stimme und Hals waren völlig in Ordnung. Seine Augen bestens. Allerdings bestand ein geringfügiger Hörverlust und das war es auch, was ihn eigentlich zu mir geführt hatte.«
»Und Ihre Ergebnisse, Doktor?«
»Wie ich schon sagte, ein leichter Hörverlust. Minimal. Wie in seinem Alter nicht anders zu erwarten.« Er korrigierte sich rasch. »In unserem Alter.«
»Wann haben Sie die Untersuchung durchgeführt? Die Termine, die ich habe, sind für Oktober eingetragen.«
»Ja, irgendwann im Oktober. Ich müsste in meinen Unterlagen nachsehen, wenn Sie die genauen Daten haben wollen, aber so ungefähr stimmt es.«
»Und erinnern Sie sich an die exakten Ergebnisse, Doktor?«
»Nein, das nicht. Aber der Verlust des Hörvermögens betrug sicher weniger als zehn Prozent, sonst würde ich mich bestimmt erinnern.«
»Ist das ein erheblicher Verlust?«
»Nein.«
»Würde man es merken?«
»Merken?«
»Hätte es ihn beim Dirigieren behindert?«
»Genau das wollte Helmut wissen. Ich habe ihm gesagt, es fiele nicht ins Gewicht, die Beeinträchtigung sei kaum messbar. Er glaubte mir. Aber ich hatte ihm am selben Tag noch ein anderes Untersuchungsergebnis mitzuteilen und das machte ihn besorgt.«
»Was war das?«
»Er hatte eine junge Sängerin zu mir geschickt, die Probleme mit ihrer Stimme hatte. Bei ihr hatte ich Stimmbandknötchen festgestellt, die operativ entfernt werden mussten. Ich sagte Helmut, dass sie frühestens in einem halben Jahr wieder singen könnte. Er hatte geplant, sie im Frühjahr in München einzusetzen, aber das war unmöglich.«
»Erinnern Sie sich sonst noch an etwas, Doktor?«
»Nein, an nichts weiter. Helmut sagte, er würde sich nach seiner Rückkehr aus Venedig wieder melden, aber ich nahm an, er meinte das eher auf geselliger Ebene, wir vier.«
Brunetti hörte das fast unmerkliche Zögern am anderen Ende und fragte: »Noch etwas, Doktor?«
»Er fragte mich, ob ich ihm in Venedig einen Arzt empfehlen könne. Ich sagte ihm, er solle nicht albern sein, er habe eine Rossnatur. Im Falle einer Krankheit würde die Oper ihm den besten Arzt besorgen, den es gebe. Aber er bestand darauf, von mir eine Empfehlung mitzubekommen.«
»Einen Spezialisten?«
»Ja. Schließlich nannte ich ihm den Namen eines Kollegen, mit dem ich einige Male zu tun hatte. Er lehrt an der Universität von Padua.«
»Und wie heißt er?«
»Valerio Treponti. Er hat eine Privatpraxis in der Stadt, aber die Nummer habe ich nicht. Helmut fragte nicht danach, er schien ganz zufrieden damit, bloß den Namen zu haben.«
»Erinnern Sie sich, ob er sich den Namen notiert hat?«
»Nein, das hat er nicht. Ehrlich gesagt dachte ich damals, er sei nur starrköpfig. Außerdem galt unsere Unterhaltung ja eigentlich der Sängerin.«
»Eine letzte Frage noch, Doktor.«
»Ja?«
»Ist Ihnen in den letzten Monaten eine Veränderung an ihm aufgefallen, irgendein Anzeichen, dass ihn etwas besonders beschäftigte oder ängstigte?«
Die Antwort des Doktors kam nach einer langen Pause. »Vielleicht war da etwas, aber ich weiß nicht, was es war.«
»Haben Sie ihn danach gefragt?«
»Solche Fragen stellte man Helmut nicht.«
Brunetti unterließ es, zu erwidern, dass Männer nach über vierzig Jahren Freundschaft manchmal durchaus so etwas taten. Stattdessen fragte er: »Können Sie sich vorstellen, was es gewesen sein könnte?«
Wieder eine lange Pause. »Ich dachte, es könnte etwas mit Elisabeth zu tun haben. Aus dem Grunde habe ich es Helmut gegenüber nicht erwähnt. Er war immer sehr empfindlich, wenn es um sie ging, um den großen Altersunterschied zwischen ihnen. Aber vielleicht könnten Sie mit ihr selbst darüber reden, Commissario?«
»Ja, Doktor, das habe ich vor.«
»Gut. War das dann alles? Ich sollte wieder zu meinen Patienten zurück.«
»Ja, Doktor, das war alles. Sie haben mir sehr geholfen und ich danke Ihnen für das Gespräch.«
»Keine Ursache. Ich hoffe, Sie finden den Schuldigen und bringen ihn vor Gericht.«
»Ich werde tun, was ich kann, Doktor«, sagte Brunetti höflich und verschwieg, dass er hauptsächlich an ersterem interessiert war und nicht im
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