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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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nicht mal sieben und sie sah sich Armani-Jacketts an. Sie blätterte weiter. Er kratzte sich an der Schulter. Die Zeit verrann.
    »War das Michele heute Nacht?«
    »Ja.« Sie war froh, ihm ein richtiges Wort entlockt zu haben und fragte nicht weiter. »Er hat mir die Sache mit Wellauer und der Santina erzählt.«
    »Wie lange ist das alles her?«
    »Ungefähr vierzig Jahre. Es war kurz nach dem Krieg, nein, kurz vorher, dann wären es eher fünfzig Jahre.«
    »Und was ist passiert?«
    »Er hat ihre Schwester geschwängert und nach einer Abtreibung ist sie dann gestorben.«
    »Hat die alte Frau dir davon auch erzählt?«
    »Kein Wort.«
    »Was willst du machen?«
    »Ich muss noch mal mit ihr reden.«
    »Heute Vormittag?«
    »Nein, ich muss erst ins Büro. Heute Nachmittag. Morgen.« Er merkte, wie wenig Lust er hatte, noch einmal in diese Kälte und dieses Elend zu gehen.
    »Wenn du gehst, zieh deine braunen Schuhe an.« Sie würden ihn gegen die Kälte schützen; aber gegen das Elend konnte ihn nichts schützen.
    »Ja, danke«, sagte er. »Willst du zuerst duschen?«, fragte er dann, weil ihm eben eingefallen war, dass sie heute schon früh unterrichten musste.
    »Nein, geh nur. Ich lese das hier fertig und mache frischen Kaffee.«
    Im Vorbeigehen küsste er sie aufs Haar und fragte sich, wie sie es fertig brachte, so zivilisiert, ja sogar freundlich mit diesem Brummbär umzugehen, der er morgens war. Der blumige Duft ihres Shampoos stieg ihm in die Nase und er sah, dass ihr Haar über der Schläfe schon etwas grau wurde. Das war ihm noch nie aufgefallen und er küsste sie noch einmal auf die Stelle, gerührt ob der Zerbrechlichkeit dieser Frau.
    Als er ins Büro kam, nahm er sich alle Zeitungen und Berichte zum Tod des Dirigenten vor, die sich angesammelt hatten und las sie durch, manche zum dritten oder vierten Mal. Die Übersetzungen der deutschen Berichte machten ihn ungeduldig. In ihrer erschöpfenden Detailgenauigkeit - etwa bei den Listen der Dinge, die bei zwei Einbrüchen aus Wellauers Wohnung gestohlen wurden - waren sie Monumente deutscher Gewissenhaftigkeit. Und durch die fast völlig fehlenden Informationen über die Aktivitäten des Dirigenten während der Kriegsjahre, sei es privater oder beruflicher Natur, waren sie ein Beispiel für die ebenso deutsche Fähigkeit, eine Wahrheit durch schlichtes Ignorieren zu beseitigen. Wenn man an einen gewissen österreichischen Präsidenten dachte, war diese Taktik bemerkenswert erfolgreich, wie Brunetti zugeben musste.
    Wellauer selbst hatte die Leiche seiner zweiten Frau gefunden. Kurz bevor sie in den Keller gegangen war, um sich zu erhängen, hatte sie noch eine Freundin angerufen und zum Kaffee eingeladen, eine Mischung aus Makabrem und Prosaischem, die Brunetti jedes mal erschütterte, wenn er den Bericht las. Die Freundin war aufgehalten worden und erst angekommen, als Wellauer seine Frau bereits gefunden und die Polizei verständigt hatte. Das hieß, er hätte eine Nachricht oder einen Brief von ihr inzwischen gefunden und vernichtet haben können.
    Paola hatte ihm beim Frühstück Padovanis Telefonnummer gegeben und ihm gesagt, dass der Journalist am nächsten Tag nach Rom zurückfahren wollte. Da Brunetti das Essen als ›Befragung eines Zeugen‹ auf sein Spesenkonto setzen konnte, rief er Padovani an und lud ihn zum Mittagessen ins Galleggiante ein, das er schätzte, sich aber selten leisten konnte. Sie verabredeten, sich um eins in dem Restaurant zu treffen.
    Danach rief er im Büro der Übersetzer unten im Präsidium an und bat, ihm die Deutschübersetzerin heraufzuschicken. Als sie kam - eine junge Frau, der er schon oft auf der Treppe zugenickt hatte - erklärte er ihr, er wolle mit Berlin telefonieren und brauche vielleicht ihre Hilfe, falls die Person am anderen Ende weder Englisch noch Italienisch spreche.
    Er wählte die Nummer, die ihm Signora Wellauer gegeben hatte. Beim vierten Klingeln wurde der Hörer abgenommen und eine Frauenstimme sagte harsch - Deutsch klang in seinen Ohren immer harsch - »Steinbrunner«. Er gab den Hörer an die Übersetzerin weiter und bekam genügend mit, um daraus zu schließen, dass der Doktor derzeit in seiner Praxis war und nicht zu Hause, nämlich der Nummer, die er hatte. Er bedeutete der Übersetzerin, die neue Nummer anzurufen und hörte zu, während sie erklärte, wer sie war und worum es ging. Sie hielt die Hand hoch, zum Zeichen, dass sie wartete und nickte. Dann reichte sie ihm den Hörer und er dachte

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