Brunetti 01 - Venezianisches Finale
tun hätte, bevor er Venedig wieder den Rücken kehrte. Der Kritiker erklärte, er müsse noch über zwei Vernissagen schreiben, eine in Treviso und eine in Mailand, aber wahrscheinlich würde er das telefonisch erledigen.
»Sie per Telefon an die Redaktion nach Rom durchgeben?«, fragte Brunetti.
»Nein, wo denkst du hin«, entgegnete Padovani, während er ein Grissino durchbrach und die Hälfte in den Mund steckte, »ich mache die Kritiken telefonisch.«
»Kunstkritiken?«, wollte Brunetti wissen. »Über Bilder?«
»Sicher«, antwortete Padovani, »du glaubst doch nicht, dass ich meine Zeit damit verschwende, mir diesen Mist anzusehen.« Als er Brunettis Verwirrung sah, erklärte er: »Ich kenne die Arbeiten von beiden Malern und sie sind nicht die Leinwand wert, auf der sie gemalt sind. Beide haben die Galerien gemietet und beide werden Freunde und Bekannte hinschicken, die ihre Bilder kaufen. Die eine ist die Frau eines Anwalts in Mailand, der andere der Sohn eines Neurochirurgen aus Treviso, dem die teuerste Privatklinik der Gegend gehört. Beide haben zu viel Zeit und nichts zu tun, da haben sie beschlossen, Künstler zu werden.« Das letzte äußerte er mit unverhohlener Verachtung.
Padovani unterbrach sich und lehnte sich breit lächelnd zurück, während Signora Antonia die ovalen Platten mit der Vorspeise vor sie hinstellte.
»Und wie sehen deine Kritiken dann aus?«
»Das kommt darauf an«, sagte Padovani und spießte ein Stück Tintenfisch auf seine Gabel. »Dem Arztsohn bescheinige ich ›totale Ignoranz in der Farbgebung und Linienführung‹. Aber der Anwalt ist mit einem unserer Direktoren befreundet, darum werde ich der Frau andichten, sie sei ›ein Phänomen in der Beherrschung von Komposition und Technik‹. Dabei kann sie nicht mal ein Rechteck malen, ohne dass es aussieht wie ein Dreieck.«
»Macht dir das zu schaffen?«
»Was? Wenn ich schreibe, was ich nicht empfinde?«, fragte Padovani und brach ein weiteres Grissino durch.
»Ja.«
»Zu Anfang hat es mich schon belastet. Aber dann wurde mir irgendwann klar, dass ich nur so dazu komme, die Kritiken zu schreiben, an denen mir wirklich liegt.« Er sah Brunettis Blick und lächelte. »Komm schon, Guido, erzähl mir nicht, du hättest noch nie ein Indiz unbeachtet gelassen oder einen Bericht so formuliert, dass er in eine andere Richtung wies, als es dieses Indiz nahe legte.«
Bevor Brunetti antworten konnte, kam Antonia an ihren Tisch. Padovani aß die letzte Krabbe und hob lächelnd den Kopf. »Hervorragend, Signora.« Sie nahm seinen Teller weg, dann Brunettis.
Gleich darauf kam sie mit dem dampfenden, appetitlichen Risotto zurück. Als sie sah, dass Padovani die Hand nach dem Salz ausstreckte, sagte sie: »Es ist genug Salz drin.« Er zog die Hand zurück, als habe er sich verbrannt und griff nach seiner Gabel.
»Aber sag mal, Guido, du hast mich doch nicht hierher zum Essen eingeladen - ich hoffe auf Kosten der Stadtkasse - um über meine Karriere zu plaudern oder mein Gewissen zu erforschen. Du sagtest, du wolltest mehr Informationen.«
»Ich wüsste gern, was du noch über Signora Santina erfahren konntest.«
Anmutig klaubte sich Padovani ein Stückchen Scampischale aus dem Mund, legte es auf seinen Tellerrand und meinte: »Dann muss ich mein Essen leider selbst bezahlen.«
»Warum?«
»Weil ich dir nichts weiter über sie sagen kann. Narciso musste gerade weg, als ich anrief und konnte mir nur noch die Adresse geben. Ich weiß also nicht mehr, als ich dir neulich Abend gesagt habe. Tut mir leid.«
Brunetti fand die Bemerkung, er wolle sein Essen selbst bezahlen, geschmacklos. »Na, vielleicht kannst du mir dann stattdessen etwas über ein paar andere Leute erzählen.«
»Ich gebe zu, dass ich nicht ganz untätig gewesen bin, Guido. Ich habe einige Freunde hier und in Mailand und Rom angerufen; du brauchst nur einen Namen zu nennen und ich werde sprudeln wie eine Quelle.«
»Flavia Petrelli?«
»Ah, die göttliche Flavia.« Er steckte eine Gabel voll Reis in den Mund und seine Aussprache war hervorragend, als er sagte: »Zweifellos möchtest du auch alles über die ebenso göttliche Miss Lynch wissen?«
»Alles, was du über die eine und die andere weißt.«
Padovani aß noch etwas Risotto und schob dann seinen Teller weg. »Willst du bestimmte Fragen stellen, oder soll ich einfach drauflos plaudern?«
»Drauflosplaudern wäre wahrscheinlich am besten.«
»Ja. Sicher. Das hat man mir schon oft gesagt.« Er trank
Weitere Kostenlose Bücher