Brunetti 01 - Venezianisches Finale
Salatschüssel und sagte: »Vielleicht bin ich ja nicht ganz fair Flavia gegenüber. Diese Affäre kostet sie einiges.«
»Inwiefern?«
»Es gibt viele lesbische Sängerinnen«, erklärte er. »Seltsamerweise sind das meist Mezzosoprane. Aber das gehört nicht zur Sache. Die Schwierigkeit ist, dass man ihnen weit weniger Toleranz entgegenbringt als ihren schwulen männlichen Kollegen. Darum wagen sie es nicht, offen zu ihrer Veranlagung zu stehen und die meisten verkleiden ihre Geliebten diskret als Sekretärin oder Agentin. Aber Flavia kann Brett kaum als irgendetwas verkleiden. Also gibt es Gerede und sicher auch schiefe Blicke und Geflüster, wenn die beiden irgendwo zusammen auftauchen.«
Brunetti brauchte nur an den Tonfall des Portiers zu denken, um zu wissen, wie sehr das zutraf. »Bist du mal in ihrer Wohnung hier gewesen?«
»Diese Oberlichter«, sagte Padovani und beide lachten.
»Wie hat sie das nur geschafft?«, fragte Brunetti, dem man die Erlaubnis verweigert hatte, Thermopanescheiben einsetzen zu lassen.
»Sie stammt aus einer von diesen alten amerikanischen Familien, die sich ihr Geld vor mehr als hundert Jahren zusammen gestohlen haben und darum als ehrenwert gelten. Die Wohnung hat sie von einem Onkel geerbt, der sie, soviel ich weiß, vor etwa fünfzig Jahren beim Kartenspiel gewonnen hat. Und was die Fenster angeht, erzählt man sich, sie habe versucht, Handwerker dafür zu bekommen, aber keiner habe es ohne die Genehmigung machen wollen. Da sei sie schließlich einfach selbst aufs Dach gestiegen, habe die Ziegel heruntergenommen, Löcher geschnitten und die Rahmen gebaut.«
»Ist sie denn nicht beobachtet worden?« In Venedig musste man nur einen Hammer an der Außenseite eines Hauses heben, schon wurden im ganzen Umkreis die Telefonhörer abgenommen. »Hat niemand die Polizei angerufen?«
»Du hast ja gesehen, wie hoch sie wohnt. Wer sie da oben sah, konnte nicht erkennen, was sie wirklich machte und nahm wohl an, sie wolle nur ihr Dach inspizieren. Oder einen Ziegel auswechseln.«
»Und dann?«
»Als die Fenster eingebaut waren, hat sie beim Stadtplanungsamt angerufen und denen erzählt, was sie getan hatte. Sie bat, jemanden vorbeizuschicken, um die Höhe der Strafe festzusetzen.«
»Und?«, fragte Brunetti, verblüfft darüber, dass eine Ausländerin sich eine so perfekt italienische Lösung ausdenken konnte.
»Ein paar Monate später kamen sie dann tatsächlich. Aber als sie sahen, wie ordentlich es gemacht war, wollten sie ihr nicht glauben, dass sie es selbst bewerkstelligt hatte und bestanden darauf, die Namen ihrer ›Komplizen‹ zu erfahren. Sie wiederholte, sie habe es allein gemacht, aber sie glaubten ihr immer noch nicht. Schließlich ging sie ans Telefon, rief im Büro des Bürgermeisters an und verlangte ›Lucio‹ zu sprechen. Und das, während zwei Architekten vom Stadtplanungsamt mit ihren Meßlatten in der Hand neben ihr standen. Sie wechselte ein paar Worte mit ›Lucio‹, gab den Hörer an einen der beiden weiter und sagte, der Bürgermeister wolle ihn kurz sprechen.« Padovani, der die ganze Szene nachspielte, reichte einen unsichtbaren Telefonhörer über den Tisch.
»Der Bürgermeister sprach also kurz mit ihm, worauf die beiden aufs Dach stiegen, die Oberlichter ausmaßen, die Strafe berechneten und sich dann mit einem Scheck von ihr ins Büro zurückschicken ließen.« Brunetti warf den Kopf zurück und lachte so laut, dass die Gäste an den anderen Tischen sich nach ihnen umdrehten.
»Warte, es kommt noch schöner«, sagte Padovani, »der Scheck war ein Barscheck und sie bekam nie eine Bestätigung, dass die Strafe bezahlt sei. Wie ich gehört habe, sind die Blaupausen im Grundbuchamt geändert und die Oberlichter eingezeichnet.« Sie freuten sich gemeinsam an diesem Sieg der Findigkeit über die Vorschrift.
»Woher hat sie denn ihr vieles Geld?«, erkundigte sich Brunetti.
»Das weiß der Himmel. Woher kommt amerikanisches Geld? Stahl. Eisenbahnen. Du weißt ja, wie das da drüben ist. Es spielt keine Rolle, ob du raubst oder mordest, um es zu kriegen. Der Trick besteht darin, es hundert Jahre lang zu behalten, dann gehörst du zur Aristokratie.«
»Ist das so wesentlich anders als hier?«, fragte Brunetti.
»Natürlich«, erklärte Padovani lächelnd. »Hier muss man es fünfhundert Jahre behalten, bevor man zur Aristokratie gehört. Und noch ein Unterschied. In Italien musst du gut angezogen sein. In Amerika ist es schwer, Millionäre und
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