Brunetti 01 - Venezianisches Finale
einen Schluck Wein und fing an. »Ich habe vergessen, wo Flavia studiert hat. Wahrscheinlich in Rom. Jedenfalls geschah das Unerwartete und sie konnte in letzter Minute für die ewig kränkelnde Caballe einspringen. Die Kritiker überschlugen sich und über Nacht war sie berühmt.« Er beugte sich vor und berührte Brunettis Handrücken mit einem Finger. »Ich dachte, vielleicht teile ich die Geschichte um der Dramatik willen in zwei Teile: den beruflichen und den privaten.« Brunetti nickte.
»Soviel zum Beruflichen. Sie war berühmt und blieb es. Bleibt es.« Er trank wieder von seinem Wein und goss sich nach.
»Jetzt also zum Privaten. Auftritt des Ehemannes. Sie sang in Barcelona, zwei oder drei Jahre nach ihrem Erfolg in Rom. Er war irgendetwas Bedeutendes in Spanien. Kunststoffe, Fabriken, glaube ich; jedenfalls etwas ebenso Langweiliges wie Einträgliches. Auf alle Fälle viel Geld, Freunde mit großen Häusern und wichtigen Namen. Romanze wie aus dem Märchen, Blumengirlanden, Geschenke lastwagenweise, wo immer sie auftrat, Schmuck, all die üblichen Versuchungen; und La Petrelli, nebenbei bemerkt nur ein einfaches kleines Mädchen vom Lande, aus einer Kleinstadt bei Trento, ging hin und verliebte sich und heiratete ihn. Mitsamt seinen Kunststoffen und Fabriken und wichtigen Freunden.«
Antonia kam und nahm ihre Teller mit, offensichtlich nicht begeistert, dass Padovanis noch halb voll war.
»Sie sang weiter, sie wurde noch berühmter. Und er genoss es offenbar, mit ihr zu reisen, genoss die Rolle des Ehemannes einer berühmten Diva, genoss es, noch mehr berühmte Leute kennen zu lernen, sein Bild in den Zeitungen zu sehen - all die Dinge, die Leute aus seiner Schicht brauchen. Dann kamen die Kinder, aber sie sang weiter, wurde immer noch berühmter. Doch bald wurde klar, dass der Honigmond vorbei war. Sie sagte eine Vorstellung ab, dann noch eine. Bald danach hörte sie für ein Jahr auf zu singen, ging mit ihm nach Spanien zurück. Und sang nicht.«
Antonia kam mit einem großen Metalltablett, auf dem ihr Seebarsch lag. Sie stellte es auf einen kleinen Serviertisch neben ihnen und löste geschickt zwei Portionen des zarten weißen Fisches von den Gräten. Sie stellte die Teller vor sie hin. »Ich hoffe, es wird Ihnen schmecken.« Die Männer tauschten einen Blick und nahmen die Herausforderung schweigend an.
»Vielen Dank, Signora«, sagte Padovani. »Darf ich Sie an den grünen Salat erinnern?«
»Wenn Sie den Fisch aufgegessen haben«, erwiderte sie und ging ab in Richtung Küche. Und das ist eines der besten Restaurants in dieser Stadt, dachte Brunetti.
Padovani aß ein paar Bissen von seinem Fisch. »Und dann war sie so plötzlich wieder da, wie sie verschwunden war und ihre Stimme war gereift in diesem Jahr, in dem sie nicht öffentlich aufgetreten war und war zu der großen, klaren Stimme geworden, die sie heute hat. Aber den Ehemann sah man nicht mehr und dann gab es eine stille Trennung und eine noch stillere Scheidung, die sie zuerst hier bekam und dann auch in Spanien, nachdem das möglich wurde.«
»Was waren die Gründe für die Scheidung?«, wollte Brunetti wissen.
Padovani hielt abwehrend die Hand hoch. »Alles zu seiner Zeit, ich möchte dem Ganzen gern Ton und Tempo eines Romans aus dem neunzehnten Jahrhundert geben. Sie sang also wieder, unsere Flavia und wie ich schon sagte, sie war wunderbarer denn je. Aber wir sahen sie nie. Nicht bei offiziellen Essen, nicht bei Partys, nicht bei den Vorstellungen anderer Sänger. Sie war so etwas wie eine Einsiedlerin geworden, lebte zurückgezogen mit ihren Kindern in Mailand, wo sie regelmäßig sang.« Er beugte sich über den Tisch. »Wächst die Spannung?«
»Ins Unerträgliche«, sagte Brunetti und steckte sich einen Bissen Fisch in den Mund. »Und die Scheidung?«
Padovani lachte. »Paola hat mich gewarnt, du seiest ein Spürhund. Gut, gut, ich will dir die Wahrheit nicht vorenthalten. Aber leider ist die Wahrheit, wie so oft, ziemlich vulgär. Er hat sie geprügelt, ziemlich regelmäßig und ziemlich brutal. Wahrscheinlich hatte nach seinem Begriff ein rechter Mann seine Frau so zu behandeln.« Er zuckte die Achseln. »Das entzieht sich meiner Kenntnis.«
»Aber sie hat ihn verlassen?«, fragte Brunetti.
»Erst als er sie krankenhausreif geschlagen hatte. Selbst in Spanien gibt es Leute, für die das die Grenze ist. Sie ist mit ihren Kindern in die italienische Botschaft geflüchtet. Ohne Geld und Papiere. Unser damaliger
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