Brunetti 02 - Endstation Venedig
sich bestimmt machen, obwohl ich zugeben muß, daß ich den Grund dafür nicht sehe. Wir kummern uns um diesen Teil der Ermittlungen.« Er hielt inne, als wartete er, daß Brunetti ihm widersprechen würde. Als dieser nichts sagte, fragte Butterworth: »Wann wollen Sie die Wohnung ansehen?«
Bevor er antwortete, sah Brunetti auf die Uhr. Es war fast Mittag. »Irgendwann heute nachmittag vielleicht. Wenn Sie mir die Adresse sagen, könnte mein Fahrer mich auf dem Rückweg zum Bahnhof hinbringen.«
»Möchten Sie, daß ich mitfahre, Vice-Questore?«
»Das ist sehr freundlich, Major, aber ich glaube nicht, daß es nötig ist. Wenn Sie mir nur die Adresse geben.«
Major Butterworth nahm einen Block und schrieb, ohne in den Unterlagen nachzusehen, eine Adresse darauf, die er Brunetti aushändigte. »Es ist nicht weit von hier. Ich bin sicher, Ihr Fahrer findet es ohne Schwierigkeiten.«
»Danke, Major«, sagte Brunetti und stand auf. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich noch ein wenig hier auf dem Stützpunkt aufhalte?«
»Posten«, korrigierte Butterworth sofort.
»Wie bitte?«
»Posten. Das hier ist ein Posten. Stützpunkte hat die Luftwaffe. Wir beim Heer haben Posten.«
»Ah, ich verstehe. Auf italienisch heißt beides Stützpunkt. Könnte ich noch ein Weilchen hierbleiben?«
Nach einem höchstens momentanen Zögern meinte Butterworth: »Ich wüßte nicht, was dagegen einzuwenden wäre.«
»Und die Wohnung, Major? Wie komme ich hinein?«
Major Butterworth stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum. »Wir haben zwei Leute dort. Ich rufe an und sage ihnen, daß Sie kommen.«
»Vielen Dank, Major.« Brunetti streckte ihm die Hand hin.
»Keine Ursache. Es freut mich, daß ich Ihnen helfen konnte.« Butterworth hatte einen kräftigen Händedruck. Aber Brunetti stellte fest, daß der Amerikaner nicht gebeten hatte, informiert zu werden, falls er etwas über den Toten herausfinden sollte.
Die Blonde saß nicht mehr an ihrem Schreibtisch im Vorzimmer. Der Bildschirm ihres Computers glänzte so leer, wie ihr Gesichtsausdruck gewesen war.
»Wohin, Commissario?« fragte der Fahrer, als Brunetti einstieg.
Brunetti gab ihm den Zettel mit Fosters Anschrift. »Da würde ich gern heute nachmittag hinfahren«, sagte er. »Wissen Sie, wo das ist?«
»Borgo Casale? Ja, Commissario. Das ist direkt hinter dem Fußballstadion.«
»Sind wir da vorhin vorbeigefahren?«
»Ja. Wollen Sie gleich hin?«
»Nein. Ich möchte erst etwas essen.«
»Waren Sie noch nie hier, Commissario?«
»Nein. Sind Sie schon lange hier?«
»Seit sechs Jahren. Aber ich kann froh sein, daß ich hierher abkommandiert worden bin. Meine Familie stammt aus Schio«, erklärte er. Da hatte er wohl recht, denn die Stadt lag etwa eine halbe Stunde entfernt.
»Es ist schon eigenartig, nicht?« meinte Brunetti, indem er auf die Gebäude ringsum zeigte.
Der Fahrer nickte, ließ sich aber nichts weiter entlocken.
»Wie groß ist das hier?« fragte Brunetti.
»Das Ganze umfaßt etwa zwei Kilometer im Quadrat.«
»Was gibt es denn noch, außer den Büros? Maggior Ambrogiani sprach von einem Supermarkt.«
»Ein Kino und ein Schwimmbad, eine Bibliothek, Schulen. Es ist eine richtige Stadt. Sie haben sogar ihr eigenes Krankenhaus.«
»Wie viele Amerikaner sind denn hier?« wollte Brunetti wissen.
»Ich weiß es nicht genau. Fünftausend vielleicht, aber das ist dann mit Frauen und Kindern.«
»Kommen Sie gut mit ihnen aus?«
»Warum nicht? Sie sind freundlich.« Es klang nicht gerade nach überschwenglicher Begeisterung. Der Fahrer wechselte das Thema und fragte: »Was ist mit dem Essen? Würden Sie lieber hier essen oder außerhalb des Stützpunkts?«
»Ich weiß nicht recht. Was empfehlen Sie denn?«
»Am besten ist die italienische Mensa. Da bekommt man was zu essen.« Als er das hörte, fragte sich Brunetti, was die Amerikaner dann wohl in ihren Restaurants servierten. Schuhnägel? »Aber die ist heute geschlossen. Wegen Streik.« Na also, damit war bewiesen, daß sie wahrhaftig italienisch war, obwohl sie sich innerhalb einer amerikanischen Militäreinrichtung befand.
»Gibt es sonst noch was?«
Ohne zu antworten, ließ der Fahrer den Motor an und fuhr los. Unvermittelt wendete er den Wagen scharf und hielt auf die Hauptstraße zu, die den Stützpunkt teilte. Dann umfuhr er einige Gebaude und Autos, lauter Manöver, die Brunetti ziemlich unsinnig erschienen, und hielt kurz darauf vor einem weiteren niedrigen Betonbau.
Brunetti
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