Brunetti 02 - Endstation Venedig
wirkte, als wäre er gerade der Dusche oder dem Bad entstiegen: seine Haut war straff und glänzte, als hätte er eben den Rasierapparat aus der Hand gelegt, um Brunetti zu begrüßen. Seine Augen waren von dem gleichen durchsichtigen Blau, das vor zwanzig Jahren die Lagune gehabt hatte.
»Ich freue mich, daß Sie von Venedig herkommen konnten, um mit uns zu reden, Chief Brunetti, oder Questore?«
»Vice-Questore«, sagte Brunetti, womit er sich selbst beförderte, weil er so leichter an Informationen zu kommen hoffte. Er sah, daß Major Butterworth auf seinem Schreibtisch zwei Körbe für den Posteingang und -ausgang stehen hatte. Der Eingangskorb war leer, der Ausgangskorb voll.
»Nehmen Sie bitte Platz«, sagte Butterworth und wartete, bis Brunetti saß, bevor er selbst seinen Platz wieder einnahm. Der Amerikaner holte einen Ordner aus der obersten Schreibtischschublade, der nur wenig dicker war als der von Ambrogiani. »Sie sind wegen Sergeant Foster gekommen, nicht?«
»Ja.«
»Was möchten Sie wissen?«
»Ich möchte gern wissen, wer ihn umgebracht hat«, sagte Brunetti ausdruckslos. Butterworth zögerte einen Moment, weil er nicht wußte, wie er die Bemerkung einordnen sollte, und beschloß dann, sie als Scherz aufzufassen. »Ja«, sagte er mit einem verhaltenen Lachen, das kaum über seine Lippen kam, »das wüßten wir alle gern. Aber ich bin nicht sicher, ob unsere Informationen ausreichen, um herauszubekommen, wer es war.«
»Was für Informationen haben Sie denn?« Er schob Brunetti den Ordner hin. Obwohl er wußte, daß er dasselbe Material enthalten würde, das er eben schon gesehen hatte, klappte Brunetti den Ordner auf und las alles noch einmal. Die Unterlagen enthielten ein anderes Foto, und Brunetti bekam nach dem toten Gesicht und dem nackten Körper zum ersten Mal einen Eindruck, wie der junge Mann wirklich ausgesehen hatte. Auf diesem Foto sah Foster attraktiver aus und trug einen kurzen Schnurrbart.
»Wann ist das Bild aufgenommen worden?«
»Wahrscheinlich, als er zum Militär kam.«
»Wie lange ist das her?«
»Sieben Jahre.«
»Wie lange war er hier in Italien?«
»Vier Jahre. Genaugenommen hat er sich gerade für weitere drei Jahre verpflichtet, um hierbleiben zu können.«
»Und er wäre hiergeblieben?«
»Ja.«
Brunetti fiel eine Notiz in der Akte ein, und er fragte: »Wie hat er Italienisch gelernt?«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Butterworth.
»Wenn er ganztags hier gearbeitet hat, blieb ihm ja kaum genügend Zeit, um auch noch eine neue Sprache zu erlernen«, erklärte Brunetti.
»Tanti di noi parliamo Italiano «, antwortete Butterworth.
»Ja, natürlich«, sagte Brunetti und lächelte, wie es angesichts der Sprachkenntnisse des Majors offenbar von ihm erwartet wurde. »Hat er hier gewohnt? Sie haben doch Truppenunterkünfte?«
»Ja sicher«, antwortete Butterworth. »Aber Sergeant Foster hatte seine eigene Wohnung in Vicenza.«
Brunetti war klar, daß man sie durchsucht hatte, deshalb fragte er gar nicht erst danach. »Haben Sie etwas gefunden?«
»Nein.«
»Könnte ich sie mir vielleicht einmal ansehen?«
»Ich weiß nicht, ob das nötig ist«, sagte Butterworth rasch.
»Ich weiß auch nicht, ob es nötig ist«, meinte Brunetti mit einem winzigen Lächeln, »aber ich würde gern sehen, wo er gewohnt hat.«
»Es entspricht nicht dem Dienstweg, daß Sie einfach hingehen und sich dort umsehen.«
»Mir war gar nicht klar, daß es in diesem Fall einen Dienstweg einzuhalten gibt«, erwiderte Brunetti. Er wußte, daß entweder die Carabinieri oder die Polizei von Vicenza leicht durchsetzen konnten, daß er sich die Wohnung ansah, aber er wollte sich, zumindest in diesem Stadium der Ermittlungen, mit allen beteiligten Behörden so gut wie möglich stellen.
»Ich denke, es könnte sich arrangieren lassen«, räumte Butterworth ein. »Wann möchten Sie hinfahren?«
»Es hat keine Eile. Heute nachmittag. Morgen.«
»Ich wußte nicht, daß Sie morgen noch einmal wiederkommen wollen, Vice-Questore.«
»Nur wenn ich heute nicht fertig werde, Major.«
»Was wollten Sie denn noch tun?«
»Ich würde gern mit einigen Leuten sprechen, die ihn gekannt haben, die mit ihm zusammen gearbeitet haben.« Brunetti hatte in den Unterlagen gesehen, daß der Tote auf dem Stützpunkt Universitätskurse belegt hatte. Diese neuen Weltreich-Gründer nahmen ihre Schulen überallhin mit, wie die Römer. »Vielleicht auch mit solchen, die mit ihm studiert haben.«
»Das läßt
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