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Brunetti 02 - Endstation Venedig

Brunetti 02 - Endstation Venedig

Titel: Brunetti 02 - Endstation Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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zu sehr Italiener, um etwas anderes überhaupt in Erwägung zu ziehen.
    Kurz darauf kam Paola ins Schlafzimmer, das goldblonde Haar offen, ihr Handtuch jetzt um den Körper geschlungen, und ging zur Kommode, in der sie ihre Unterwäsche und Pullover aufbewahrte. Lässig, sorglos warf sie das Handtuch aufs Bett und bückte sich, um eine Schublade aufzuziehen. Während er eine neue Krawatte unter seinen Kragen schob, sah er zu, wie sie einen schwarzen Slip anzog und dann einen BH umlegte und zuhakte. Um sich abzulenken, dachte er an Physik, eines seiner Studienfächer an der Universitat. Er bezweifelte, ob er je Dynamik und Zugkräfte der weiblichen Unterwäsche verstehen würde; so vieles war da zu halten, zu unterstützen und einzudämmen. Er knotete die Krawatte fertig und nahm sein Jackett aus dem Schrank. Als er es anhatte, zog sie den Reißverschluß an ihrem Kleid zu und stieg in ein Paar schwarze Pumps. Seine Freunde klagten oft, sie mußten Ewigkeiten warten, während ihre Frauen sich anzogen oder ihr Make-up auflegten; Paola war immer einen Schritt vor ihm an der Tür.
    Sie griff in ihren Teil des Schrankes und zog einen bodenlangen Mantel heraus, der aussah, als wäre er aus Fischschuppen gemacht. Er erwischte sie dabei, wie sie einen Augenblick ihren Nerzmantel musterte, der am Ende der Kleiderstange hing, aber sie ließ ihn hängen und machte die Schranktür zu. Ihr Vater hatte ihr den Nerz vor einigen Jahren zu Weihnachten geschenkt, aber sie hatte ihn die letzten zwei Jahre nicht getragen. Brunetti wußte nicht, ob es mit der Mode zusammenhing - er nahm an, auch Pelze kamen aus der Mode; jedenfalls war das bei allen anderen Kleidungsstücken so, die seine Frau oder seine Tochter trugen - oder mit der wachsenden Ablehnung von Pelzen, die sich in der Presse wie auch an seinem häuslichen Eßtisch bemerkbar machte.
    Vor zwei Monaten war eine friedliche Familienmahlzeit in eine hitzige Debatte ausgeartet, bei der seine Kinder darauf beharrten, daß es nicht richtig sei, Pelze zu tragen, daß Tiere dieselben Rechte hätten wie Menschen, und ihnen diese zu verweigern sei »Gattungsegoismus«, ein Wort, das sie sich Brunettis Meinung nach nur ausgedacht hatten, um es ihm an den Kopf zu werfen. Er hörte zehn Minuten zu, während der Streit zwischen den beiden und Paola hin und her ging, Chiara und Raffi für alle Arten auf der Erde gleiche Rechte forderten und Paola versuchte, zwischen vernunftbegabten Tieren und anderen zu unterscheiden. Schließlich war seine Geduld mit Paola, die es in einem ihm idiotisch erscheinenden Streit mit Vernunft versuchte, am Ende gewesen, und er hatte mit der Gabel quer über den Tisch auf die Hühnerknochen am Tellerrand seiner Tochter gezeigt. »Anziehen dürfen wir sie nicht, aber essen schon, ja?« Damit war er aufgestanden und ins Wohnzimmer gegangen, um die Zeitung zu lesen und einen Grappa zu trinken.
    Auf jeden Fall blieb der Nerz im Schrank, und sie machten sich auf den Weg zum Casinò.
    An der Anlegestelle San Marcuola stiegen sie aus dem Vaporetto und gingen durch die engen Straßen und über die geschwungene Brücke auf die Eisentore des Casinò zu, die jetzt alle mit offenen Armen empfingen, die hineinwollten. Auf der äußeren, dem Canal Grande zugewandten Mauer standen noch die Worte NON NOBIS, nicht für uns, die das Casinò zu Zeiten der Republik für Venezianer zum verbotenen Territorium erklärt hatten. Nur Ausländer sollten geschröpft werden; Venezianer sollten ihr Geld klug anlegen und es nicht beim Würfeln und anderen Spielen verplempern. Wie wünschte er doch angesichts dieses endlosen Abends, der sich wie ein gähnender Schlund vor ihm auftat, daß die Regeln jener Republik noch gelten und ihm die nächsten Stunden ersparen würden.
    Sie betraten die marmorgeflieste Halle, und sofort eilte von der Rezeption ein Geschäftsführer im Smoking herbei und begrußte ihn mit Namen: »Dottor Brunetti, Signora«, und das mit einer Verbeugung, die eine akkurate, horizontale Falte in seinen roten Kummerbund machte. »Es ist uns eine Ehre, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Sie werden im Restaurant erwartet.« Mit einer Handbewegung, die ebenso anmutig war wie seine Verbeugung, deutete er nach rechts zum Fahrstuhl, der offen auf sie wartete. »Wenn Sie bitte mitkommen wollen, ich bringe Sie hin.«
    Paolas Hand griff nach der seinen und verhinderte mit festem Druck seine Antwort, er kenne den Weg. Statt dessen quetschten sie sich alle drei in die winzige Kabine des

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