Brunetti 02 - Endstation Venedig
sich das nach Patta anhörte.
Da Signora Pastore noch nichts von dem Mord gehört hatte, mußte ihr Mann die ganze Geschichte noch einmal erzählen, wobei er sich hin und wieder an Brunetti wandte, um nach Einzelheiten zu fragen oder sich Tatsachen bestätigen zu lassen. Brunetti störte das ganz und gar nicht, denn dadurch ging das Essen schneller vorbei als sonst. Und so aßen sie sich beim Gespräch über Mord und Totschlag durch Risotto, gegrillten Fisch, vier Gemüsesorten, Salat und Tiramisù bis zum Kaffee.
Wahrend die Männer an ihrem Grappa nippten, fragte Dr. Pastore die Damen wie jedes Jahr, ob sie Lust auf ein Spielchen unten im Casinò hätten. Als sie ja sagten, reagierte er mit alljährlich neu aufgelegtem Entzücken und zog drei kleine Lederbeutel aus seiner Jackentasche, die er vor sie hinstellte.
Und wie jedes Jahr protestierte Paola: »Oh, Zio Ernesto, das sollst du doch nicht«, während sie eifrig den Beutel aufnestelte, in dem die alljährlichen Chips fürs Casinò waren. Brunetti stellte fest, daß es die gleiche Stückelung war wie jedes Jahr, insgesamt zweihunderttausend Lire für jede der Damen, genug, um sie zu beschäftigen, während Dr. Pastore ein oder zwei Stunden beim Blackjack verbrachte und gewöhnlich weit mehr gewann, als er fürs Amusement der Damen zur Verfügung gestellt hatte.
Die drei Männer standen auf, hielten den Damen die Stühle, und alle sechs machten sich auf den Weg nach unten in die Spielsale des Casinò.
Da sie nicht alle in den Fahrstuhl paßten, wurden die Frauen hineinkomplimentiert, und die Männer beschlossen, über die Treppe nach unten in den großen Spielsaal zu gehen. Brunetti hatte Conte Orazio zu seiner Rechten und überlegte, was er zu seinem Schwiegervater sagen konnte.
»Wußtest du, daß Wagner hier gestorben ist?« fragte er und überlegte im selben Moment, wie er darauf kam, da Wagner nicht gerade ein Komponist war, den er besonders schätzte.
»Ja«, antwortete der Conte. »Nicht zu früh.«
Dann waren sie zum Glück unten; Conte Orazio gesellte sich zu seiner Frau, um ihr beim Roulette zuzusehen, und trennte sich mit einem freundlichen Lächeln und einer angedeuteten Verbeugung von Brunetti.
Brunettis erster Besuch in einem Spielkasino hatte nicht in seiner Geburtsstadt Venedig stattgefunden, wo außer besessenen oder professionellen Spielern niemand den Tischen große Aufmerksamkeit schenkte, sondern in Las Vegas, wo er vor Jahren auf einer Fahrt durch Amerika Halt gemacht hatte. Und weil er seine erste Erfahrung mit dem Spiel dort gemacht hatte, verband er es mit heller Beleuchtung, lauter Musik und dem schrillen Gekreisch derer, die gewonnen oder verloren hatten. Er erinnerte sich an eine Bühnenshow, heliumgefüllte Ballons, die zur Decke flogen, Menschen in T-Shirts, Jeans und Shorts. Darum war er, obwohl er jedes Jahr hierherkam, immer wieder überrascht, daß hier eine Atmosphäre zwischen Museum und, schlimmer noch, Kirche herrschte. Nur wenige Leute lächelten, es wurde höchstens geflüstert, und niemand schien sich zu amüsieren. Inmitten dieser ganzen Feierlichkeit fehlten ihm die ehrlichen Ausbrüche der Freude oder Enttäuschung, die wilden Gefühlsäußerungen, die das wechselnde Glück begleiteten.
Nichts von alledem hier. Männer und Frauen, alle gut angezogen, umringten in ehrfuchtsvollem Schweigen den Roulette-Tisch und plazierten ihre Chips auf der Filzbespannung. Schweigen, Pause, dann gab der Croupier dem Rad einen kräftigen Schwung, warf die Kugel, und alle Blicke hefteten sich auf das schwirrende Gemisch aus Farben und Metall, blieben daran hängen, wenn es langsamer und noch langsamer wurde und zum Stehen kam. Schlangengleich glitt der Rechen des Croupiers auf dem Tisch hin und her, sammelte die Chips der Verlierer ein und schob den Gewinnern einige wenige zu. Und dann dieselben Bewegungen, die Unruhe, das Rotieren, die starren Augen, wie festgenagelt auf dem sich drehenden Rad. Warum trugen wohl so viele dieser Männer einen Ring am kleinen Finger?
Er ließ sich in den nächsten Raum treiben, sich vage bewußt, daß er die anderen verloren hatte, neugierig auf weitere Beobachtungen. In einem Nebenzimmer kam er zu den Blackjacktischen und sah, daß Dr. Pastore schon dort saß, vor sich einen mit chirurgischer Präzision aufgestapelten, mittelhohen Turm aus Chips. Während Brunetti zusah, verlangte er eine Karte, zog eine sechs, wartete, bis die anderen Spieler gezogen hatten, um dann seine Karten umzudrehen und
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