Brunetti 04 - Vendetta
wußte ich dann, daß es aus war. Ich dachte noch, ich könnte davonkommen ... Na ja«, fügte sie hinzu, »ich weiß nicht, ob ich das wirklich gedacht oder nur gehofft habe.«
Nach einiger Zeit kamen sie wieder an der ersten Villa vorbei, nur daß sie diesmal auf Brunettis Seite war. Plötzlich brach sie das Schweigen. »Die werden mich umbringen, verstehen Sie?«
Er war durch die Wärme und die ungewohnte Bewegung halb eingedöst. »Wie?« fragte er. Er schüttelte den Kopf und setzte sich aufrecht.
»Wenn die erfahren, daß ich verhaftet bin, wenn sie erfahren, daß ich die drei getötet habe, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als mich aus dem Weg zu schaffen.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Brunetti.
»Ich weiß, wer die Leute sind - einige jedenfalls -, die ich nicht getötet habe. Sie werden dafür sorgen, daß ich nicht rede.«
»Wer?«
»Männer, die solche Videos machen - Trevisan war nicht der einzige - und Prostituierte auf die Straße schicken. Nein, nicht die kleinen Gauner auf der Straße, die den Mädchen Dampf machen und ihnen das Geld abnehmen. Ich kenne die Männer, die das Geschäft organisieren, den ganzen Frauen-Import-Export. Allerdings gibt es wohl kaum Export, abgesehen von den Videos, oder? Ich weiß nicht, wer sie alle sind, aber ich kenne etliche.«
»Wer sind die Leute?« fragte Brunetti, der an Mafia und Männer mit Schnurrbärten und südlichem Akzent dachte.
Sie nannte ihm den Bürgermeister einer großen Stadt in der Lombardei und den Generaldirektor eines Pharmakonzerns. Als Brunetti den Kopf herumwarf und sie groß ansah, lächelte sie grimmig und fügte noch den Namen eines der Staatssekretäre im Justizministerium hinzu. »Das ist ein multinationales Unternehmen, Commissario. Wir reden hier nicht von zwei alten Männern, die bei einem Glas Billigwein in einer Bar sitzen und sich über Huren unterhalten; wir reden von Vorstandsetagen und Jachten und Privatflugzeugen, und von Befehlen per Fax und Mobiltelefon. Es sind Männer, die echte Macht haben. Was meinen Sie, wie die es geschafft haben, die Aufzeichnungen über Faveros Autopsie verschwinden zu lassen?«
»Woher wissen Sie das alles?« fragte Brunetti scharf.
»Lotto hat es mir gesagt. Sie wollten nicht, daß Faveros Tod genauer untersucht wurde. Da sind zu viele Leute beteiligt. Ich kenne ihre Namen nicht alle, aber genug.« Ihr Lächeln verschwand. »Und darum werden sie mich umbringen.«
»Wir nehmen Sie in Schutzhaft«, sagte Brunetti, im Geiste schon bei den organisatorischen Einzelheiten.
»Wie Sindona?« fragte sie sarkastisch. »Wie viele Bewacher hatte er im Gefängnis, wie viele Videokameras haben ihn rund um die Uhr überwacht? Und trotzdem ist das Gift in seinen Kaffee gekommen. Was glauben Sie, wie lange ich am Leben bleibe?«
»Das wird nicht passieren«, versetzte Brunetti hitzig, dann sagte er sich, daß er eigentlich keinen Grund hatte, das alles zu glauben. Er wußte, daß sie die drei Männer getötet hatte, ja, aber alles übrige mußte erst einmal bewiesen werden, vor allem dieses Gerede über Gefahr und Anschläge auf ihr Leben.
Über irgendeine Gefühlsantenne spürte sie seinen Stimmungswandel und verstummte. Sie fuhren weiter durch die Nacht, und Brunetti wandte den Kopf und beobachtete die Lichtreflexe auf dem Kanal zu seiner Rechten.
Als nächstes fühlte er, wie sie an seiner Schulter rüttelte, und als er die Augen öffnete, sah er unmittelbar vor sich eine Mauer. Instinktiv riß er die Arme vors Gesicht und zog den Kopf ein. Aber es folgte kein Aufprall, kein Krachen. Das Auto bewegte sich nicht, der Motor war stumm.
»Wir sind wieder in Venedig«, sagte sie.
Er ließ die Arme sinken und sah sich um. Die Mauer vor ihm gehörte zum Parkhaus; rechts und links standen andere geparkte Wagen.
Sie griff zwischen die Vordersitze und löste ihren Sicherheitsgurt. »Ich nehme an, Sie wollen mich zur Questura bringen.«
Als sie zum embarcadero kamen, legte das Einserboot gerade ab. Brunetti sah auf die Uhr und stellte verblüfft fest, daß es schon nach drei war. Er hatte weder Paola noch in der Questura angerufen, um zu sagen, was er vorhatte.
Signora Ceroni stand vor dem Bootsfahrplan und versuchte ihn zu lesen. Schließlich nahm sie ihre Brille heraus und setzte sie auf. Nachdem sie die Abfahrtszeiten gelesen hatte, drehte sie sich zu Brunetti um und sagte: »Erst in vierzig Minuten.«
»Möchten Sie zu Fuß gehen?« fragte er. Es war zu kalt, um sich in dem offenen embarcadero
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