Brunetti 04 - Vendetta
Mordfällen einstellen - immerhin etwas -, aber alles Verdienst für die Festnahme heimst jetzt Padua ein.« Pattas Wut war greifbar. Er streckte die Hand über seinen Schreibtisch und zog eine Akte zu sich heran. »Ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen, Commissario Brunetti. Sie finden sicher etwas, womit Sie sich beschäftigen können.« Er schlug die Akte auf, beugte sich darüber und fing an zu lesen.
In seinem Dienstzimmer folgte Brunetti einem Impuls und wählte della Cortes Nummer. Niemand nahm ab. Er setzte sich. Er stand wieder auf und ging ans Fenster. Dann setzte er sich erneut an seinen Schreibtisch. Die Zeit verging. Das Telefon klingelte, und er nahm ab.
»Guido, wußten Sie etwas davon?« fragte della Corte argwöhnisch.
Brunettis Hand war schweißnaß. Er nahm den Hörer in die andere und wischte sich die Hand an der Hose ab. »Was ist passiert?«
»Sie hat sich in ihrer Zelle erhängt. Sie haben sie vor einer guten Stunde hergebracht und solange in eine Arrestzelle gesteckt, bis man einen Kassettenrecorder für das Geständnis aufgetrieben hatte. Man hat es nicht für nötig befunden, ihr ihre Sachen wegzunehmen, und als man dann wieder in die Zelle kam, hatte sie sich inzwischen mit ihrer Strumpfhose am Heizungsrohr erhängt.« Della Corte verstummte, aber Brunetti sagte nichts.
»Guido? Sind Sie noch da?«
»Ja, ich bin noch da«, sagte Brunetti endlich. »Wo sind die Leute vom Staatsschutz?«
»Die füllen Formulare aus. Sie hat ihnen auf dem Weg hierher gesagt, daß sie die drei Männer umgebracht hat.«
»Warum?«
»Warum sie es ihnen gesagt hat, oder warum sie die Männer umgebracht hat?« fragte della Corte.
»Warum sie die Männer umgebracht hat.«
»Sie hat gesagt, sie habe in der Vergangenheit Affären mit allen dreien gehabt und sie dann jahrelang erpreßt. Jetzt hätten alle drei ihr gesagt, daß sie nicht länger zahlen wollten, worauf sie beschlossen habe, sie umzubringen.«
»Aha«, sagte Brunetti. »Alle drei?«
»So sagen es die Leute.«
»Wie viele sind es?« fragte Brunetti.
»Die vom Staatsschutz?«
»Ja.«
»Drei.«
»Und die sagen alle dasselbe? Daß sie die Männer umgebracht hätte, weil sie sich nicht länger erpressen lassen wollten?«
»Ja.«
»Haben Sie mit ihnen gesprochen?«
»Nein. Ich habe das alles von dem Wächter, der sie gefunden hat.«
»Wann haben die zum erstenmal von ihrem Geständnis gesprochen?« fragte Brunetti. »Bevor oder nachdem sie tot war?«
»Weiß ich nicht«, antwortete della Corte. »Spielt das eine Rolle?«
Nein, sagte sich Brunetti, es spielte keine Rolle, weil diese drei Männer vom Staatsschutz alle dasselbe sagen würden, davon war er überzeugt. Ehebruch, Erpressung, Habgier und Rache: lauter Laster, die hinreichend erklären würden, was sie getan hatte. Wahrscheinlich waren sie sogar glaubhafter als Wut und Grauen und eiskalter Rachedurst. Das Wort dreier Staatsschutzbeamter war kaum in Frage zu stellen.
Brunetti sagte: »Danke«, und legte bedächtig auf. Er machte sich daran, nach irgendwelchen Beweisfetzen zu suchen, irgendeinem Faden, mit dem sich noch jemand anders ans Licht der Wahrheit zerren ließe. Nach Signora Ceronis Geständnis und ihrem Selbstmord waren die einzigen greifbaren Indizien die Listen der Telefongespräche aus den Büros der drei toten Männer. Und was bewiesen die? Telefonate mit verschiedenen legalen Firmen in verschiedenen Ländern sowie einer verrufenen Bar in Mestre. Es war wenig mehr als nichts, sicherlich nicht genug, um eine Untersuchung zu rechtfertigen. Mara war mit Sicherheit wieder auf der Straße, wahrscheinlich in eine andere Stadt verlegt. Und Silvestri würde alles aussagen, was die Leute, die ihm seine Drogen gaben, ihm auszusagen befahlen. Oder genausogut könnte man ihn auch tot auffinden, gestorben an einer Überdosis. Brunetti hatte noch immer das Video, aber um zu beweisen, daß es von den Trevisans stammte, müßte er von Chiara verlangen, darüber zu reden, sich daran zu erinnern, und das würde er nicht tun, egal welche Folgen diese Weigerung hätte.
Sie hatte ihn gewarnt, aber er hatte nicht auf sie gehört. Sie hatte ihm sogar den Mann genannt, der ihre Mörder schicken würde. Oder vielleicht steckte sogar ein noch Mächtigerer als er dahinter, noch so ein angesehener Mann, der gleich dem römischen Hauptmann in der Bibel nur »Geh hin!« zu sagen brauchte, und einer ging hin. Beziehungsweise es gingen gleich drei solch williger Kriegsknechte hin und erfüllten
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