Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
Anklage gegen Paola zu erheben, und der Fall wurde in den staatlichen Archiven abgelegt.
Ein paar Tage nachdem Bonaventura aus der Untersuchungshaft entlassen und unter Hausarrest gestellt worden war, saß Brunetti in seinem Wohnzimmer, ganz vertieft in Arrians Bericht über Alexanders Feldzüge, als das Telefon klingelte. Er hob den Kopf und lauschte, ob Paola in ihrem Arbeitszimmer abnahm. Als es nach dem dritten Klingeln aufhörte, widmete er sich wieder seinem Buch und Alexanders Bedürfnis, seine Freunde vor sich auf dem Bauch kriechen zu sehen, als wäre er ein Gott. Der Zauber seiner Lektüre entführte ihn schnell wieder an jene fernen Orte in jener fernen Zeit.
»Es ist für dich«, hörte er Paolas Stimme von hinten. »Eine Frau.«
»Hm?« machte Brunetti und sah auf, aber so ganz war er noch nicht wieder im Wohnzimmer oder überhaupt in der Gegenwart.
»Eine Frau«, wiederholte Paola von der Tür her.
»Wer?« fragte Brunetti, er steckte einen alten Bootsfahrschein als Lesezeichen in das Buch und legte es neben sich.
Gerade wollte er aufstehen, als Paola antwortete: »Keine Ahnung. Ich belausche doch deine Gespräche nicht.«
Brunetti erstarrte in der Bewegung, vornübergebeugt wie ein alter Mann mit Rückenbeschwerden. »Madre di Dio«, entfuhr es ihm. Er stand auf und starrte Paola an, die an der Tür stehenblieb und ihn befremdet musterte.
»Was ist los, Guido? Hast du Rückenschmerzen?«
»Nein, nein. Es geht mir gut. Aber ich glaube, ich hab's. Ich habe ihn.« Er ging zum Garderobenschrank und nahm seinen Mantel heraus.
»Was hast du vor?« fragte Paola, als sie das sah.
»Ich muß fort«, antwortete er ohne nähere Erklärung.
»Und was soll ich dieser Frau sagen?«
»Sag ihr, ich bin nicht zu Hause«, antwortete er, und eine Sekunde später stimmte das auch.
Signora Mitri öffnete ihm die Tür. Sie trug kein Make-up, und an ihrem Scheitel sah man den grauen Haaransatz. Sie hatte ein unvorteilhaftes braunes Kleid an und schien, seit er sie zuletzt gesehen hatte, noch korpulenter geworden zu sein. Als er auf sie zuging und ihr die Hand gab, roch er etwas Süßliches in ihrem Atem - Wermut oder Marsala.
»Sind Sie gekommen, um es mir zu sagen?« fragte sie, als sie sich im Wohnzimmer an einem niedrigen Tischchen gegenübersaßen, auf dem drei benutzte Gläser und eine leere Wermutflasche standen.
»Nein, Signora, ich kann Ihnen leider nichts sagen.«
Sie schloß enttäuscht die Augen und krampfte die Hände ineinander. Nach ein paar Sekunden sah sie wieder zu ihm herüber und sagte leise: »Ich hatte gehofft.«
»Haben Sie die Zeitungen gelesen, Signora?«
Sie brauchte nicht zu fragen, was er meinte. Stumm schüttelte sie den Kopf.
»Ich muß etwas von Ihnen wissen, Signora«, sagte Brunetti. »Sie müssen mir etwas erklären.«
»Was?« fragte sie ohne großes Interesse.
»Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie mir, Sie hätten die Telefongespräche Ihres Mannes belauscht.« Als sie nicht zu erkennen gab, daß sie ihn überhaupt gehört hatte, fügte er hinzu: »Seine Gespräche mit anderen Frauen.«
Wie er schon befürchtet hatte, flossen wieder die Tränen. Sie tropften ihr von den Wangen hinunter auf den dicken Stoff ihres Kleides. Sie nickte.
»Signora, würden Sie mir sagen, wie Sie das gemacht haben?«
Sie blickte auf, die Augen verständnislos zusammengekniffen.
»Wie haben Sie seine Gespräche belauscht?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Wie haben Sie es gemacht, Signora?« Sie antwortete noch immer nicht, und Brunetti sprach weiter. »Es ist wichtig, Signora. Ich muß das wissen.«
Er sah ihr Gesicht vor Verlegenheit rot anlaufen. Er hatte schon allzu vielen Leuten gesagt, sie könnten mit ihm reden wie mit einem Priester, ihre Geheimnisse seien bei ihm sicher aufgehoben, aber er wußte selbst, wie wenig das stimmte, darum versuchte er gar nicht erst, sie davon zu überzeugen. Vielmehr wartete er nur.
Schließlich sagte sie: »Der Detektiv. Er hat etwas an das Telefon in meinem Zimmer angeschlossen.«
»Einen Kassettenrecorder?« fragte Brunetti.
Sie nickte, und ihr Gesicht wurde noch röter.
»Ist er noch da?«
Sie nickte wieder.
»Könnten Sie ihn mir holen, Signora?« Sie schien ihn nicht gehört zu haben, also wiederholte er: »Könnten Sie ihn mir holen? Oder mir sagen, wo ich ihn finde?«
Sie legte eine Hand über ihre Augen, aber die Tränen quollen weiter darunter hervor.
Brunetti wartete. Endlich zeigte sie mit der anderen Hand über ihre Schulter
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