Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
hindurchgepaßt hätte. Ein Spinnennetz feiner Risse breitete sich bis in alle vier Ecken aus; um das Loch herum war das Glas milchig und undurchsichtig, aber die scharfen, nach innen weisenden Splitter waren darum nicht weniger gefährlich.
Hinter ihr, links neben der Bank, gingen in der obersten Wohnung Lichter an, dann auch in der Wohnung über der immer noch jaulenden Alarmanlage. Minuten vergingen, doch das interessierte sie erstaunlich wenig: Die Dinge würden von jetzt an ihren Lauf nehmen, egal, wie lange die Polizei für ihren Weg hierher brauchte. Nur der Lärm regte sie auf. Dieser schrille Doppelton störte den Frieden der Nacht. Aber schließlich war das der ganze Sinn der Sache, dachte sie dann: Ruhestörung.
Fensterläden wurden auf gestoßen, drei Köpfe erschienen und verschwanden ebenso rasch wieder, weitere Lichter gingen an. Es war nicht an Schlaf zu denken, solange die Alarmanlage in die Welt hinausbrüllte, daß in der Stadt ein Frevel geschah. Nach etwa zehn Minuten kamen zwei Polizisten auf den campo gerannt, einer mit der Pistole in der Hand. Er lief zu dem eingeschlagenen Schaufenster und rief: »Polizei. Kommen Sie heraus!«
Nichts rührte sich. Die Sirene jaulte weiter.
Er rief noch einmal, doch als sich noch immer nichts tat, drehte er sich zu seinem Kollegen um, der den Kopf schüttelte und mit den Achseln zuckte. Der erste steckte seine Pistole wieder ein und ging einen Schritt auf die zerbrochene Scheibe zu. Über ihm wurde ein Fenster geöffnet, und jemand rief heraus: »Könnt ihr dieses verdammte Ding nicht abschalten?« Eine weitere wütende Stimme brüllte herunter: »Ich will endlich schlafen!«
Der zweite Polizist stellte sich neben seinen Kollegen, und sie schauten zusammen nach drinnen, dann hob der erste den Fuß und trat gegen die gläsernen Stalagmiten, die gefährlich aus dem unteren Rahmen emporragten. Gemeinsam stiegen sie hinein und verschwanden nach hinten. Dann gingen gleichzeitig die Lichter im Büro und die Alarmanlage aus.
Die beiden kamen wieder nach vorn, wobei der eine ihnen mit einer Taschenlampe leuchtete. Sie sahen um sich, ob etwas ganz offensichtlich gestohlen oder kaputtgemacht worden war, und stiegen durch das Loch wieder auf den campo hinaus. Erst jetzt entdeckten sie die Frau auf dem steinernen Pfosten.
Der eine, der vorhin seine Pistole gezogen hatte, ging zu ihr. »Haben Sie gesehen, was hier passiert ist, Signora?«
»Ja.«
»Was? Wer war es?« Der andere Polizist hörte die Fragen und kam hinzu, sichtlich erfreut, daß sie so schnell eine Zeugin gefunden hatten. Das würde die Sache beschleunigen und es ihnen ersparen, von Tür zu Tür gehen und ihre Fragen stellen zu müssen. Sie würden eine Täterbeschreibung erhalten, rasch aus dieser feuchten Herbstkälte zurück in die warme Questura kommen und ihren Bericht schreiben.
»Wer war es?« fragte der erste.
»Jemand hat einen Stein ins Schaufenster geworfen«, sagte die Frau.
»Wie sah er denn aus?«
»Es war kein Mann«, antwortete sie.
»War es eine Frau?« unterbrach der zweite, und sie verkniff sich die Gegenfrage, ob es vielleicht noch eine weitere Alternative gebe, von der sie noch gar nichts wisse. Nein, keine Witze. Keine Witze. Bevor das alles vorbei war, sollte es keine Witze mehr geben.
»Ja, eine Frau.«
Der erste Polizist warf seinem Partner einen raschen Blick zu und fragte weiter: »Wie sah die Frau aus?«
»Etwa Anfang Vierzig, blondes, schulterlanges Haar.«
Die Frau hatte ihr Haar unter einem Kopftuch, so daß der Polizist zunächst nichts begriff. »Und was hatte sie an?« fragte er.
»Einen gelbbraunen Mantel, braune Stiefel.«
Er sah die Farbe ihres Mantels, dann blickte er auf ihre Füße. »Das ist kein Scherz, Signora. Wir wollen wissen, wie diese Frau aussah.«
Sie blickte ihm voll ins Gesicht, und im Schein der Straßenlaterne sah er in ihren Augen so etwas wie eine versteckte Leidenschaft aufblitzen. »Ohne Scherz, agente. Ich habe Ihnen gesagt, was die Frau anhatte.«
»Aber Sie beschreiben sich selbst, Signora.« Wieder hielt ihr inneres Alarmsystem sie von einem pathetischen »Ihr habt wahr gesprochen« ab. Statt dessen nickte sie.
»Sie waren das?« fragte der erste, ohne sein Erstaunen verbergen zu können.
Sie nickte wieder.
Der andere versuchte klarzustellen: »Sie haben einen Stein in das Schaufenster geworfen?«
Noch einmal nickte sie.
In stillschweigendem Einvernehmen traten die beiden ein paar Schritte beiseite, bis sie außer
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