Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
auf Signora Follini zu lenken, ging Vianello an dem Laden vorbei und tat, als hätte er kein Interesse daran.
Er wandte sich nach links, um die Adresse aufzusuchen, die man ihm für Sandro Scarpa angegeben hatte, den Urheber der Bemerkung, die Bottin in Wut gebracht hatte. Aber Scarpa, der alles andere als glücklich darüber war, daß die Polizei ihn von seinem Mittagessen fortholte, erklärte ihm, den Streit habe der Tote provoziert, und wer etwas anderes behaupte, sei ein Lügner. Nein, er könne sich nicht mehr genau erinnern, was Bottin gesagt habe, und er wisse auch nicht mehr, warum es ihn so geärgert habe. Außerdem könne von Schlägerei eigentlich gar nicht die Rede sein. Was heißen sollte, daß so etwas eben vorkomme, wenn es schon spät in der Nacht sei und die Männer getrunken hätten; es habe nichts weiter zu bedeuten, und hinterher verschwende auch niemand mehr einen Gedanken daran.
Ohne Vorwarnung fragte ihn Vianello, wo sein Bruder sei. Scarpa antwortete, seines Wissens sei er wegen irgend etwas zu einem Freund nach Vicenza gefahren. Er forderte Vianello nicht direkt zum Gehen auf, sondern sagte nur, in der Küche werde sein Essen kalt, und er könne ihm über Bottin sowieso nichts weiter sagen. Vianello sah keinen Grund, das Gespräch in die Länge zu ziehen, und suchte das Restaurant auf, um in der Bar ein Gläschen Wein zu trinken.
Beim Eintreten erlebte er eine kurze Schrecksekunde, in der er sich fast schon wieder in der Questura glaubte, denn hinter der Theke stand Pucetti, und links an einem Tisch, vor sich den Gazzettino - in dem sie mit einer Aufmerksamkeit las wie sonst höchstens in Vogue -, saß Signorina Elettra. Beide blickten auf, als er hereinkam. Beide reagierten angemessen auf den Anblick seiner Uniform, und er hoffte, daß die Männer an der Bar das auch gesehen hatten: mit einem Argwohn und Widerwillen, die er selbst in den Gesichtern von Männern, die er schon wiederholt festgenommen hatte, selten zu sehen bekam.
Pucetti gönnte sich viel Zeit, bis er endlich kam und ihn nach seinen Wünschen fragte, und dann ließ er das bestellte Glas Prosecco erst schal und warm werden, bevor er es brachte. Vianello nippte nur einmal kurz daran, knallte das Glas auf die Theke, bezahlte und ging.
Wieder ein paar Minuten später faltete Signorina Elettra angesichts des nahenden Sportteils die Zeitung zusammen, bezahlte ihren Kaffee, nickte einigen der Männer an der Bar zu und lief hinaus in die Sonne. Sie war erst ein paar Schritte gegangen, als sie von hinten eine Stimme hörte, die sie augenblicklich erkannte: »Na, wieder auf dem Heimweg zu Ihrer Kusine?«
Sie drehte sich um, sah ihn, zögerte einen Moment und erwiderte dann sein Lächeln. »Ich denke, ja.« Als sie seine Verwirrung sah, erklärte sie: »Sie ist mit den Kindern zum Lido gefahren, um Schuhe zu kaufen, und von dort werden sie erst nach dem Mittagessen zurück sein.«
»So daß Sie zur Abwechslung einmal in Ruhe essen können?« fragte er mit noch breiterem Lächeln.
»Nein, nein, es sind richtig liebe Kinder. Außerdem haben sie ältere Rechte im Haus und an Bruna.«
»Sie wären demnach frei?« fragte er, denn das der Kinder interessierte ihn weniger.
»Ich denke wohl«, antwortete sie, und als sie selbst merkte, wie ungnädig das klang, sagte sie: »Ja, ich bin frei.«
»Gut. Ich hatte nämlich gehofft, Sie zu einem Picknick am Strand überreden zu können. Am Wellenbrecher ist eine Stelle, da hat die Flut ein paar von den Steinen weggespült, so daß man dort völlig windgeschützt sitzt.«
»Picknick?« fragte sie mit einem Blick auf seine leeren Hände.
Er hakte die Daumen in ein vermeintliches Paar Hosenträger und drehte sich ein wenig um, damit sie den kleinen Rucksack auf seinem Rücken sah, gerade groß genug, um ein Picknick für zwei zu fassen. »Hier drin«, sagte er.
Sie mußte unwillkürlich lächeln. »Gut. Was haben Sie denn eingepackt?«
»Lauter Überraschungen«, antwortete er, und sie beobachtete, wie sein Lächeln immer am Mund begann und sich dann langsam in seine Augen hinaufschlich.
»Schön. Eine davon heißt hoffentlich Mortadella.«
»Mortadella?« fragte er. »Woher wußten Sie das? Die esse ich für mein Leben gern, aber ich denke immer, ich bin der einzige, darum packe ich nie welche ein. Das ist doch ein Bauernessen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß jemand wie Sie so etwas ißt.«
»Aber ja doch!« rief sie mit ungespielter Begeisterung; sein Kompliment überhörte
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