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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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gar nichts mit erinnerten Freuden zu tun hatte, sondern viel mehr mit der Verheißung künftiger. Er sah sie mit einem Blick an, der so überrascht war, daß er fast dämlich wirkte, doch als sie dann so tat, als ob sie die Berührung gar nicht bewußt wahrgenommen hätte, wandte er sich wieder seinem Rucksack zu und zog dessen Schnüre fest.
    Obwohl sie sich von da an scheinbar nur noch für ein großes Schiff am Horizont interessierte, das man durch den Höhleneingang sah, merkte sie doch ganz genau, daß er sie beobachtete. Als er dann »Kaffee?« fragte, ahnte sie sein selbstkritisches Grinsen mehr, als daß sie es sah.
    Sie lächelte und nickte, aber ob die Frage sie erleichterte oder enttäuschte, hätte sie selbst nicht sagen können.

16
    B runetti, der weit davon entfernt war, am Wasser zu sitzen und frische Erdbeeren in Mascarpone zu tunken, sah sich unterdessen in sein Dienstzimmer gesperrt und unter den Papierlawinen ersticken, die von den Organen des Staates losgetreten wurden. Er hatte gehofft, es werde während Pattas Abwesenheit und Marottas Rückzieher an ihm sein, Entscheidungen zu treffen, die sich auf den Gang der Gerechtigkeit in Venedig auswirken würden. Selbst wenn er für nichts weiter sorgen könnte, als daß unfähige Beamte auf Unwichtiges - wie zu laut plärrende Fernseher - angesetzt wurden, damit die Besseren sich ernsterer Probleme annehmen konnten, wäre dies doch wenigstens ein Beitrag zum Allgemeinwohl gewesen. Aber nicht einmal für so etwas Simples hatte er Zeit. In Abwesenheit Signorina Elettras, die den täglich ankommenden Papierkram offenbar sehr gut siebte, landete das ganze Zeug auf seinem Schreibtisch und nahm seine gesamte Arbeitszeit in Anspruch. Anscheinend verfaßte das Innenministerium täglich ganze Bände von Bekanntgaben und Vorschriften und traf Entscheidungen zu so weit auseinanderliegenden Themen wie der Notwendigkeit, sich beim Verhör ausländischer Tatverdächtiger eines Dolmetschers zu bedienen, und der Absatzhöhe an den Schuhen der Polizistinnen. Er überflog das alles nur - es Lesen zu nennen, wäre eine Unwahrheit gewesen, denn dieser Begriff beinhaltet ein Minimum an Verstehen, und über dieses Stadium war Brunetti längst hinaus und hatte jenen Zustand der Abgestumpftheit erreicht, in dem man zwar noch Wort an Wort reiht und Seiten umblättert, aber keine Ahnung mehr hat, was die Wörter bedeuten.
    Er konnte nicht verhindern, daß seine Phantasie immer wieder nach Pellestrina abschweifte. Er fand die Zeit, mit Vianello zu sprechen, war aber enttäuscht über das Wenige, das der Sergente erfahren hatte. Hingegen horchte er auf, als Vianello erwähnte, er habe bei seinen Gesprächen mit den Leuten auf Pellestrina immer das starke Gefühl gehabt, daß sie Bottin nicht als einen der ihren betrachteten, denn das bestätigte einen Verdacht, den Brunetti selbst schon gefaßt hatte, auch wenn er nicht mehr wußte, warum. Je länger er über Vianellos Worte nachdachte, desto merkwürdiger fand er das alles. Nach seiner Erfahrung war es ungewöhnlich, daß Menschen, die eine so enge Gemeinschaft bildeten wie die Einwohner von Pellestrina, sich so einmütig ablehnend über einen der Ihren äußerten. Das Geheimnis ihres Überlebens hatte immer darin bestanden, eine einige Front gegen fremde Mächte zu bilden, und eine fremdere Macht als die Polizei konnte es gar nicht geben. Was ihn ferner beschäftigte, war die wiederholte Gegensätzlichkeit ihrer Äußerungen über Giulio einerseits und Marco andererseits. Alle betrauerten den Tod des Jungen, aber keiner auf ganz Pellestrina schien Giulio Bottin eine Träne nachzuweinen. Noch eigenartiger war die Unbekümmertheit, mit der sie sich das anmerken ließen.
    Die anschwellende Papierflut schwemmte diese Gedanken für die nächsten zwei Tage aus Brunettis Kopf. Am Freitag rief Marotta aus Turin an und sagte, er werde am Montag zurück sein. Brunetti fragte nicht, ob er in dem Prozeß ausgesagt habe; ihm war nur wichtig, daß der andere Commissario ihn bald von dem Papierkram erlöste.
    Paola und er waren am Samstag abend bei Freunden zum Essen eingeladen, und als kurz vor acht das Telefon klingelte, während Brunetti sich gerade die Krawatte umband, war er versucht, nicht abzunehmen.
    Paola rief über den Flur: »Soll ich rangehen?«
    »Nein, ich mache das schon«, sagte er, aber widerstrebend, während er sich wünschte, eines der Kinder sei da, um das Gespräch anzunehmen und zu sagen, daß er gerade aus dem Haus

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