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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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mitzuteilen. Während sie sich auch weiter standhaft dagegen wehrte, in Gespräche über die zurückliegenden Morde verwickelt zu werden, paßte sie sich rasch dem Rhythmus von Pellestrina an, einem Dorf, das nach seinem eigenen Tempo lebte. Der Großteil seiner Bevölkerung fuhr noch morgens im Dunkeln zur Arbeit aus und kam erst am späten Vormittag oder frühen Nachmittag wieder zurück. Viele gingen gleich nach Anbruch der Dunkelheit zu Bett. Elettra verfiel bald in einen Alltagstrott. Bruna sorgte täglich für ihre Enkel, solange deren Mutter m der Grundschule am Ort unterrichtete. Um dem Trubel zu entkommen, den zwei kleine Kinder im Haus bedeuteten, verbrachte Elettra die meiste Zeit draußen, vorwiegend mit Strandspaziergängen, wobei sie hin und wieder auch mit dem Boot für ein paar Stunden nach Chioggia hinüberfuhr. Aber immer kehrte sie am Ende auf einen Kaffee in der Bar des Restaurants ein, und immer war das genau um die Zeit, wenn die Männer von den Booten kamen.
    Schon nach wenigen Tagen war sie so zu einem hübschen Stück Inventar geworden, einem, das auf jede Erwähnung der Bottins oder der Morde mit Schweigen reagierte. Sie merkte gleich, daß keiner Giulio leiden konnte; aber erst mit der Zeit begann sie zu ahnen, daß die Abneigung gegen ihn noch ganz andere Gründe hatte als seinen Hang zur Gewalttätigkeit. Schließlich verdienten diese Männer sich ihren Lebensunterhalt damit, daß sie töteten; und wenn es auch nur Fische waren, so hatte dieser Beruf doch viele von ihnen gegen Blut abgestumpft, und Leben zu nehmen war ihnen nichts Besonderes. Die Brutalität, mit der Giulio beseitigt worden war, schien sie nicht im mindesten zu bekümmern; im Gegenteil, wenn überhaupt einmal davon gesprochen wurde, dann eher in einem Ton zähneknirschender Bewunderung. Was sie gegen ihn aufbrachte, war anscheinend seine Weigerung, das Wohl des Pellestrinotti-Rudels über alles andere zu stellen. Jede Aggression, jeder Betrug war, sofern er sich nur gegen die Fischer von Chioggia richtete, vollkommen gerechtfertigt, sogar lobenswert. Giulio Bottin schien es jedoch fertiggebracht zu haben, so etwas auch mit den eigenen Kollegen zu machen, wenn es nur zu seinem Vorteil war, und das verziehen sie nie, nicht einmal nach dem Tod, ja, selbst nicht nach einem so schrecklichen Tod wie dem seinen.
    Als sie am Mittwoch nachmittag wieder in der Bar saß, im Gazzettino las und den Gesprächen ringsum gar keine, wirklich nicht die allermindeste Aufmerksamkeit widmete, merkte sie, wie jemand hereinkam, der neu war. Sie sah nicht auf, bevor sie ein paar weitere Seiten durchgeblättert hatte, und als sie dann den Blick hob, sah sie einen Mann, der ein paar Jahre älter war als sie und sich durch die lässige Eleganz seiner Erscheinung von den Fischern am Tresen abhob. Er trug eine hellgraue Hose und einen blaßgelben Pulli über einem Hemd, das perfekt zur Hose paßte. Augenblicklich war sie gebannt von der Farbe des Pullis und der Tatsache, daß er im Kreis dieser Männer völlig akzeptiert zu sein schien und sich sogar wohl fühlte. Dabei wußte sie, daß die meisten von ihnen eher sterben würden als etwas Gelbes anzuziehen, das keine Ölhaut war.
    Er hatte dunkle Haare und, soweit sie das von der Seite erkennen konnte, dunkle Augen und Brauen. Seine Haut war von Natur aus braun oder sonnengebräunt, das konnte sie nicht mit Sicherheit sagen. Er war größer als die meisten anderen hier, und dieser Eindruck wurde durch die Eleganz seiner Haltung noch gesteigert. Jede traditionelle Vorstellung von Männlichkeit wäre - vor allem in Gegenwart dieser wettergehärteten Fischer - schon durch den Pulli kompromittiert worden, erst recht aber durch die Art, wie er den Kopf schieflegte, um den Männern in der Runde zuzuhören. Bei ihm jedoch ergab sich als Gesamtwirkung eine Männlichkeit, die sich ihrer selbst so sicher war, daß Nebensächlichkeiten wie Kleidung oder Gestik sie nicht kümmerten.
    Elettra richtete ihren Blick bewußt wieder auf die Zeitung, ihre Aufmerksamkeit aber auf den Mann. Er war, wie sich herausstellte, mit einem der anwesenden Fischer verwandt. Es wurden weitere Getränke bestellt, und bald sah Elettra, daß sie sich den Sportseiten näherte, die zu lesen sie nicht einmal aus Pflichtbewußtsein über sich gebracht hätte. Sie legte die Zeitung zusammen und stand auf. Als sie zur Kasse ging, rief einer der Männer, ein entfernter Verwandter von Bruna, sie zu sich, um sie mit dem Neuankömmling bekannt

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