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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Hände rieb, tat dem allgemeinen Eindruck der Befriedigung keinen Abbruch, den ihr begieriges Lächeln vermittelte: Endlich kam da jemand, der ihr Erschrecken und Entsetzen über all das Tun und Lassen teilen würde, dessen sich ihre Nachbarn schuldig machten.
    Sie trug ihr Haar in einem dünnen Knoten am Hinterkopf, während ein paar widerspenstige Strähnen von einer fettigen, parfümierten Pomade an ihrem Platz gehalten wurden. Ihr Gesicht war schmal, ihr Körper dagegen rundlich und ohne sichtbare Taille. Über einem schwarzen Kleid, das mit zunehmendem Alter vom vielen Waschen grün wurde, trug sie eine schmuddelige Schürze, die vor Jahren einmal geblümt gewesen sein mochte.
    »Guten Tag, Signora«, begann Brunetti, und noch bevor er ihr seinen Namen nennen konnte, kam sie ihm zuvor.
    »Ich weiß, wer Sie sind und warum Sie kommen. Ist auch höchste Zeit, daß Sie mal mit mir reden.« Sie versuchte Mißbilligung in ihren Gesichtsausdruck zu legen, aber es wollte ihr nicht gelingen, ihre Befriedigung über sein Kommen zu verbergen.
    »Bedaure, Signora«, sagte er, »aber ich wollte erst einmal hören, was die anderen mir zu erzählen hatten, bevor ich zu Ihnen käme.«
    »Kommen Sie, kommen Sie«, sagte sie, schon von ihm abgewandt, und führte ihn in den rückwärtigen Teil des Hauses. Er folgte ihr über einen langen, dumpfigen Flur, an dessen Ende Licht durch einen offenen Zugang zur Küche fiel. Hier gab es keinen Temperaturwechsel, keine wohltuende Wärme zum Ausgleich für die Feuchte des Flurs, keine angenehmen Essensdüfte, um den bedrückenden Geruch nach Schimmel, Wolle und irgend etwas Wildem, Animalischem, das er nicht erkannte, zu übertönen.
    Sie zeigte auf einen Stuhl am Tisch und setzte sich, ohne ihm etwas zu trinken anzubieten, ihm gegenüber.
    Brunetti nahm ein kleines Notizbuch aus der Seitentasche seiner Jacke, öffnete es und schraubte seinen Füller auf. »Ihr Name, Signora?« fragte er, wohlbedacht auf italienisch, nicht auf veneziano, denn je formlicher und amtlicher er dieses Gespräch erscheinen lassen konnte, desto größer würde ihre Freude und Befriedigung darüber sein, daß sie die Behörden endlich auf die vielen, vielen Dinge hinweisen konnte, die sie alle die undankbaren Jahre lang an ihrem Busen genährt hatte.
    »Boscarini«, sagte sie. »Clemenza.« Er sagte nichts dazu und schrieb nur stumm.
    »Und wie lange wohnen Sie schon hier, Signora Boscarini?«
    »Mein ganzes Leben lang«, antwortete sie, ebenfalls wohlbedacht auf italienisch, was ihr alles andere als leichtfiel. »Dreiundsechzig Jahre.«
    Emotionen oder Erlebnisse, die über seine Vorstellungskraft gingen, ließen sie mindestens zehn Jahre älter wirken, aber Brunetti machte sich nur wieder eine Notiz. »Ihr Gatte, Signora?« fragte er dann, denn er wußte, daß sie sich geschmeichelt fühlen würde, wenn er einfach unterstellte, daß sie einen hatte, aber beleidigt wäre, wenn er sie fragte, ob sie einen habe.
    »Tot. Schon vierunddreißig Jahre. Im Sturm.« Brunetti notierte sich diesen bedeutenden Umstand, dann sah er wieder auf und beschloß, sie lieber nicht nach Kindern zu fragen.
    »Haben Sie schon immer dieselben Nachbarn, Signora?«
    »Ja. Außer den Rugolettos drei Türen weiter«, sagte sie mit einer ärgerlichen Kopfbewegung nach links. »Die sind vor zwölf Jahren da eingezogen, von Burano, als der Großvater der Frau starb und ihnen das Haus vermachte. Schmutzig, die Frau«, sagte sie voll abgrundtiefer Verachtung, und damit er nur ja verstand, woran das lag, fügte sie hinzu: »Buranesi.«
    Brunetti gab ein zustimmendes Grunzen von sich, dann fragte er, um keine Zeit zu verlieren: »Kannten Sie Signora Follini?«
    Sie lächelte über die Frage, kaum daß sie ihre Freude verbergen konnte, rückte aber schnell ihre Züge wieder zurecht. Brunetti hörte ein leises Geräusch und blickte zu ihr hinüber. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, daß sie sich tatsächlich die Lippen leckte, wie um ihnen endlich die Freiheit zu geben, mit der schrecklichen Wahrheit herauszurücken. »Ja«, sagte sie endlich. »Ich kannte sie, und ihre Eltern habe ich auch gekannt. Ordentliche, fleißige Leute. Sie hat sie getötet - genauso, als wenn sie ein Messer genommen und es ihrer armen Mutter direkt ins Herz gestoßen hätte.«
    Brunetti, der in sein Notizbuch blickte, damit sie sein Gesicht nicht sah, gab ermutigende Töne von sich und schrieb weiter.
    Wieder machte sie erst einmal eine Pause, um zu lecken,

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