Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
auch noch voll und ganz an ihr vorbeiging, nichtsdestoweniger war es ein Stich, und ihm war danach wohler. Mit aller gebotenen Höflichkeit verabschiedete er sich, froh, ihrem Haus, ihren Worten, den Schmatzgeräuschen ihrer Schlangenzunge zu entrinnen.
Wie vereinbart, trafen er und Vianello sich um fünf in der Bar. Beide bestellten Kaffee, und nachdem der Barkellner die Täßchen vor sie hingestellt und sich zurückgezogen hatte, fragte Brunetti: »Nun?«
»Es hat jemanden gegeben. Einen Mann«, sagte Vianello.
Brunetti riß zwei Päckchen Zucker auf, schüttete sie in seinen Kaffee, rührte um und trank in einem einzigen langen Zug die Tasse leer. »Wer?« Er stellte fest, daß Vianello noch immer seinen Kaffee ohne Zucker trank, eine Angewohnheit, von der seine eigene Großmutter gemeint hatte, sie »verdünne das Blut«, was das auch immer heißen sollte.
»Keine Ahnung. Und überhaupt hat nur ein einziger Mann etwas über sie gesagt, nämlich daß Signora Follini immer schon vor Morgengrauen auf war, obwohl sie ihren Laden erst um acht öffnete. Was er sagte, war weniger interessant, als wie er es sagte -m und der Blick, mit dem ihn seine Frau dabei ansah.«
Das war alles, was Vianello mitgebracht hatte, und es sah nicht nach sehr viel aus. Es hätte Stefano Silvestri gewesen sein können, obwohl Brunetti sich kaum vorstellen konnte, daß seine Frau es dulden würde, wenn ihr Mann sich vor Morgengrauen anderswo befand als neben ihr im Bett oder höchstens bei seinen Netzen.
»Ich habe Signorina Elettra gesehen«, sagte Vianello noch.
Brunetti zwang sich, kurz zu warten, bevor er fragte: »Wo?«
»Auf dem Weg zum Strand.«
Brunetti verkniff sich die Frage, und nach einer Weile fügte Vianello von sich aus hinzu: »Wieder mit demselben Mann.«
»Wissen Sie, wer es ist?«
Vianello schüttelte den Kopf. »Ich glaube, um das herauszukriegen, bitten wir am besten Bonsuan, seinen Freund zu fragen.«
Brunetti gefiel der Gedanke nicht, etwas zu unternehmen, was in irgendeiner Weise Aufmerksamkeit auf Signorina Elettra lenken könnte. »Nein. Fragen Sie lieber Pucetti.«
»Falls der heute noch mal zur Arbeit erscheint«, antwortete Vianello mit einem Blick zum anderen Ende der Bar, wo der Wirt sich ganz vertieft mit zwei Männern unterhielt.
»Wo wohnt er denn?«
»In einem der Häuser. Bei einem Vetter des Wirts oder so.«
»Können wir uns mit ihm in Verbindung setzen?«
»Nein. Sein telefonino wollte er nicht mitbringen; er meinte, da könnte jemand eine Nachricht draufsprechen, die ihn verraten würde.«
»Wir hätten ihm ein dienstliches geben können, dann hätte keiner von seinen Freunden die Nummer gekannt«, versetzte Brunetti mit unverhohlenem Ärger.
»Das wollte er auch nicht. Man kann nie wissen, hat er gemeint.«
»Was kann man nie wissen?« schnauzte Brunetti.
»Das hat er nicht gesagt. Aber ich stelle mir vor, daß er gemeint hat, irgend jemand in der Questura könnte erwähnen, daß er ein Mobiltelefon für einen Sondereinsatz bekommen hat, oder jemand könnte darauf anrufen, oder irgendwer höre womöglich unsere sämtlichen Gespräche ab.«
»Ist das nicht ein bißchen paranoid?« fragte Brunetti, obwohl er selbst sich über letztere Möglichkeit schon öfter als einmal seine Gedanken gemacht hatte.
»Ich glaube, man sollte sicherheitshalber immer annehmen, daß alles, was man sagt, abgehört wird.«
»So kann man doch nicht leben«, erwiderte Brunetti hitzig, obwohl er Vianellos Glauben teilte.
Der Sergente zuckte die Achseln. »Also, was machen wir jetzt?«
Brunetti erinnerte sich, was Rizzardi ihm über »harten Sex« mitgeteilt hatte, und sagte: »Ich möchte wissen, mit wem sie Umgang hatte.« Dann sah er Vianellos Blick und fügte hinzu: »Signora Follini, meine ich.«
»Ich halte es immer noch für das beste, Bonsuan zu bitten, seinen Freund zu fragen. Diese Leute werden uns nichts verraten, jedenfalls nicht direkt.«
»Ich habe mir von einer Frau erzählen lassen, daß Signora Follini noch immer die Männer des Ortes zur Sünde verführte«, meinte Brunetti halb angewidert, halb belustigt.
»Dann war einer der Versuchten vermutlich ihr Mann, oder ihr Nachbar.«
»Zwei Häuser weiter.«
»Das ist dasselbe.«
Brunetti beschloß, zum Boot zurückzugehen und Bonsuan zu bitten, mit seinem Freund zu reden. Das erwies sich als unnötig, denn der Bootsführer, dem sie beim Verlassen der Bar begegneten, war von dem Mann nach Hause zum Mittagessen eingeladen worden, und
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