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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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telefonino. »Möchten Sie vorher anrufen und ihr sagen, daß Sie kommen?«
    Brunetti machte eine abwehrende Handbewegung, unterdrückte aber den Hinweis, daß sie neben einem Telefon standen, das Handy also überflüssig war. »Nein, sie würde sich nur ängstigen, wenn sie hört, daß die Polizei anruft, und dann müßte ich ihr gleich sagen, was passiert ist. Ich gehe lieber hin und rede persönlich mit ihr.«
    »Soll ich mitkommen?« fragte Vianello.
    »Nein, nicht nötig. Gehen Sie nur zum Essen. Ist vielleicht auch für die Signora besser, wenn nur einer kommt. Aber bevor Sie gehen, hören Sie sich noch bei den anderen Parteien im Haus um. Fragen Sie die Leute, was sie über die Mädchen wissen und ob sie gestern nacht etwas gesehen oder gehört haben. Morgen können wir dann mit den Vernehmungen an der Universität beginnen: Meine Frau kann mir vielleicht etwas über das Mädchen sagen, wer ihre Freunde waren, ihre anderen Professoren. Ach, und wenn Sie wieder in der Questura sind, bitten Sie Signorina Elettra, etwas über Claudia Leonardo herauszufinden oder über diese Frau, Hedi - vermutlich eine Kurzform von Hedwig - Jacobs. Und sie könnte auch gleich mal nachsehen, ob wir etwas über Luca Guzzardi haben.«
    »Macht sie sicher gern. Ich denke, ihr ist im Moment jede Ablenkung recht«, sagte Vianello in einem Ton, der indes nicht so beiläufig klang wie beabsichtigt.
    »Schön. Dann sagen Sie ihr, ich möchte alles wissen, was sie in Erfahrung bringen kann, selbst wenn es bis zum Krieg zurückreicht.«
    Vianello wollte noch etwas anmerken, vielleicht über Signorina Elettra, aber er stockte und sagte nur: »Ich werd's ihr ausrichten.«
    Brunetti wußte, daß die Adresse in Santa Croce irgendwo bei San Giacomo dell'Orio sein mußte, also ging er zu Fuß zur Vaporetto-Anlegestelle an der Accademia und nahm die Linie Eins nach San Stae. Von dort folgte er seinem Instinkt und kam bald auf den Campo San Boldo. Da die Hausnummern schon nahe an der waren, die er suchte, betrat er eine tabaccheria und fragte nach dem Weg. Als der Tabakhändler sich nicht ganz sicher war, erklärte Brunetti, er sei auf der Suche nach einer alten Dame, einer Österreicherin. Da lächelte der Ladeninhaber: »Ah, Signora Hedi - die hält mein Geschäft in Gang und mich auf Trab mit ihrem Zigarettenkonsum. Raucht wie ein Türke, die Signora. Sie sind an ihrem Haus vorbeigelaufen. Halten Sie sich rechts, wenn Sie rauskommen, und dann ist's die dritte Tür.«
    Brunetti folgte der Weisung und fand auf einem der Schilder neben dem angegebenen Eingang den Namen »Jacobs«. Doch als er die Hand an die Klingel hob, überkam ihn eine Welle der Erschöpfung. Er hatte das schon zu oft getan, hatte so viele schreckliche Nachrichten überbracht, und das Widerstreben, es abermals zu tun, war momentan übermächtig. Um wieviel leichter wäre sein Beruf, wenn die Opfer keine Angehörigen hätten, sondern einsame, ungeliebte Menschen wären, deren Tod keinen Sturm auslöste, welcher die kleinen Boote im Umkreis kentern ließ und noch mehr Opfer auf die Sandbänke des Lebens spülte.
    Brunetti wartete ergeben, bis die dumpfe Resignation nachließ, und ein paar Minuten später läutete er. Nach einer Weile rief eine tiefe Stimme, die aber dennoch unverkennbar einer Frau gehörte, über die Türsprechanlage: »Wer ist da?«
    »Ich komme, um mit Ihnen zu reden, Signora«, war das Beste, was ihm einfiel.
    »Ich rede nicht mit irgendwem«, antwortete sie und legte auf.
    Brunetti läutete wieder und hielt den Finger auf der Klingel, bis er sie fragen hörte: »Wer sind Sie?« Ihr Ton war gebieterisch, ohne eine Spur von Unsicherheit oder Furcht.
    »Ich bin Commissario Guido Brunetti, Signora, von der Polizei. Und ich muß mit Ihnen sprechen.«
    Es folgte eine lange Pause. Endlich sagte sie: »Worüber?«
    »Über Claudia Leonardo.«
    Das Geräusch, das er hörte oder zu hören glaubte, konnte eine Frequenzstörung sein, aber vielleicht war es auch ihr Atmen. Das Schloß klickte auf, und er trat ein. Den Boden der Eingangshalle, die nur von einer schwachen Birne in einem schmutzigen Glasgehäuse erleuchtet war, bedeckte ein grüner Schimmelbelag, der, je weiter er die Treppe hinaufstieg, allmählich verblaßte. Auf dem ersten Treppenabsatz brannte wieder eine dämmrige Funzel deren trüber Lichtschein auf die oktagonalen Marmormedaillons im Fußboden fiel. Links sah er eine offene Tür, eine schwere metallene porta blindata, und gleich dahinter eine

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