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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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hochgewachsene, von rheumatischen Schmerzen gekrümmte Frau, deren weißes Haar zu einer kunstvoll geflochtenen Krone aufgesteckt war, wie er es von Fotos aus den dreißiger und vierziger Jahren kannte. Sie stand nach vorn gebeugt, und ihre Hände umklammerten den Elfenbeingriff eines Gehstocks. Obwohl ein Anflug von Alterstrübung ihre grauen Augen verschleierte, waren sie nichtsdestotrotz voller Argwohn.
    »Ich fürchte, ich habe eine schlimme Nachricht für Sie, Signora Jacobs«, sagte er und blieb vor der Tür stehen. Vergebens forschte er in ihren Zügen nach einer Reaktion.
    »Dann kommen Sie besser rein, damit ich mir im Sitzen anhören kann, was Sie zu sagen haben.« Wenn sie in längeren Sätzen sprach, verriet der leicht schleppende Singsang in ihrer Stimme die österreichische Herkunft. »Ich habe es am Herzen und stehe nicht mehr allzu fest auf den Beinen. Ich muß mich setzen.«
    Damit wandte sie sich zurück in die Wohnung. Brunetti schloß die Tür und folgte ihr. Schon beim ersten Atemzug merkte er, daß der Tabakhändler nicht übertrieben hatte: Selbst wenn er durch einen Aschenbecher gewatet wäre, hätte der Nikotingeruch nicht beißender sein können. Darüber lag ein so durchdringender, säuerlicher Geruch, daß er sich fragte, wann in dieser Wohnung wohl zuletzt gelüftet worden war.
    Die Frau führte ihn einen weitläufigen Flur entlang, und aus Sorge, daß schon die Furcht vor dem, was er ihr zu sagen hatte, sie ins Stolpern oder gar zu Fall bringen könnte, hielt Brunetti den Blick zunächst starr auf ihren Rücken geheftet. Aber da sie bei aller Langsamkeit offenbar doch ziemlich sicher auf den Beinen war, begann er auch seine Umgebung in Augenschein zu nehmen. Und blieb unwillkürlich wie angewurzelt stehen, überwältigt von der Schönheit, die sich in verschwenderischer Fülle vor ihm auftat.
    Die Wände zu beiden Seiten des Flurs waren über und über mit Gemälden und Zeichnungen behängt. Rahmen an Rahmen drängten sich die Bilder, wahllos zusammengewürfelt wie die Wartenden an einer Bushaltestelle: Das kleine Format mit der Tänzerin in vertrauter Pose mußte ein Degas sein; daneben sah er eine Birne, aber eine, wie nur Cézanne sie zu malen verstand; die Madonna mit den schweren Lidern stammte zweifellos aus der Schule von Siena; und daneben hing eine von Goyas Zeichnungen eines Exekutionskommando.
    Während er, gleichsam versteinert wie Lots Weib, auf einem Fleck verharrte, sagte eine Stimme irgendwo links von ihm: »Kommen Sie jetzt und berichten mir, was Sie zu sagen haben, Commissario?«
    Brunetti warf noch rasch einen Blick auf ein besonders kleines Format - ein Memling vielleicht? -, ein paar Zeichnungen von Otto Dix und einen unidentifizierbaren und ausgesprochen unerotischen weiblichen Akt. Dann folgte er der Stimme ins Wohnzimmer, wo sein Geruchssinn eine noch schwerere Prüfung zu bestehen hatte: Der Mief war dichter, intensiver und so stark, daß Brunetti spürte, wie er sich in den Stoff seines Jacketts einfraß. Als er sich umblickte, fand er in diesem Raum die verschiedensten Kunstgegenstände versammelt. Eine ganze Wand war mit goldgerahmten persischen oder indischen Miniaturen bedeckt, mindestens dreißig an der Zahl. Linker Hand hingen drei Kacheln, die sogar Brunettis ungeschultes Auge als Iznik-Keramiken erkannte, sowie eine große Sammlung osmanischer Teller und Fliesen, zugleich aber auch ein lebensgroßes hölzernes Kruzifix. Zu seiner Rechten sah er Kohle- und Tuschezeichnungen, doch bevor er die näher betrachten konnte, wurde seine Aufmerksamkeit wieder auf die alte Frau gelenkt, die sich schwerfällig in einem samtüberzogenen Sessel niederließ.
    Der Sessel stand in der Mitte eines Teppichs, allem Anschein nach ein Isfahan: Nur hochwertige Seide erzeugte jenen schimmernden Glanz, der Brunetti aus dem kleinen Rechteck am äußersten Ende des Teppichs entgegenleuchtete, im Mittelfeld indes überlagert, ja ausgelöscht war von einem weiten Bogen eingetretener Asche, der halbkreisförmig den Platz unter und vor dem Sessel der Signora markierte. Reflexartig, mit einer Geste, so instinktiv und natürlich wie das Atmen, griff sie nach einer blauen Packung Nazionali, die neben ihr auf dem Tisch lag, und zündete sich mit einem billigen Plastikfeuerzeug eine Zigarette an.
    Erst nachdem sie einmal tief inhaliert hatte, setzte sie zum Sprechen an. »Werden Sie mir nun endlich sagen, weshalb sie hier sind?«
    »Wegen Claudia Leonardo«, antwortete er. »Sie wurde

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