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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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vor der dritten von innen ein schwaches Geräusch zu hören glaubte, trat er ein, ohne die Namen auf der Karte zu lesen. Ein junger Mann saß mit dem Rücken zu Brunetti an einem Schreibtisch vor dem Fenster und wand sich auf seinem Stuhl, als versuche er sich daraus zu befreien. Oder war das ein Anfall? Obwohl Brunetti die heftigen Zuckungen nicht geheuer waren, scheute er sich, näher zu treten, aus Angst, den Jungen zu erschrecken und seinen Zustand zu verschlimmern.
    Während er noch unschlüssig auf der Schwelle stand, ließ der junge Mann plötzlich den Kopf auf die Tischplatte sinken, breitete die Arme aus und schlug dreimal mit der flachen Hand aufs Holz. Dazu stimmte er ein durchdringendes »Yaah, yaah, yaah« an und hielt den letzten Ton so lange, bis der Drummer, den Brunetti selbst auf die Entfernung hören konnte, zu einem langgezogenen letzten Riff ansetzte, dessen Rhythmus der Junge zur Begleitung mit den Fingern auf die Tischkante trommelte.
    In das Intro zum nächsten Stück hinein bellte Brunetti mit absichtlich überlauter Stimme: »Kadett!«
    Der scharfe Kommandoton durchdrang das Wummern in den Kopfhörern, und der Junge sprang auf die Füße.
    Hastig wandte er sich nach der Stimme um, und seine Rechte schoß salutierend an die Stirn, verfing sich dabei aber so unglücklich im Kabel der Kopfhörer, daß der Discman zu Boden krachte und die Kopfhörer gleich mitriß.
    Die CD war bei dem Aufprall offenbar nicht aus der Spur geraten, denn Brunetti erkannte immer noch den Baß, der wummernd bis zu ihm herüberschallte. »Hat Ihnen noch keiner gesagt, wie schädlich das fürs Gehör ist?« erkundigte sich Brunetti im Plauderton. Wenn er die nämliche Frage seinen Kindern stellte, dämpfte er die Stimme für gewöhnlich zu einem Flüstern, was die ersten paar Male erfolgreich dazu geführt hatte, daß sie ihn baten, seine Worte zu wiederholen. Inzwischen aber hatten sie seine Taktik durchschaut und ignorierten ihn einfach.
    Der Junge, der völlig verdutzt dreinblickte, ließ langsam den Arm sinken. »Was sagten Sie?« fragte er und fügte, der Macht der Gewohnheit folgend, ein »Signore« an. Er war groß und spindeldürr, und sein schmales Kinn sah aus, als sei eine Hälfte mit einer stumpfen Klinge rasiert worden, während die andere von den Narben einer hartnäckigen Akne gezeichnet war. Seine mandelförmigen Augen aber waren mädchenhaft schön.
    Mit zwei Schritten durchmaß Brunetti den Raum. Er merkte wohl, wie der Körper des Jungen sich bei seiner Annäherung versteifte, doch er bückte sich lediglich, um Discman und Kopfhörer aufzuheben, und legte beides vorsichtig auf den Schreibtisch. Das spartanisch eingerichtete Zimmer wirkte eher wie die Behausung eines Roboters als wie die eines oder - wenn er die Stockbetten richtig deutete - zweier junger Männer.
    »Ich sagte, zu laute Musik kann Ihr Gehör schädigen. Das predige ich auch meinen Kindern immer, aber sie hören nicht auf mich.«
    Die Antwort verwirrte den Jungen noch mehr; offenbar war es ihm ganz ungewohnt, daß ein Erwachsener ihn als Gesprächspartner ernst nahm. »Ja, meine Tante sagt das auch.«
    »Aber Sie hören nicht auf sie?« fragte Brunetti. »Oder glauben Sie ihr etwa nicht?« Er war ehrlich neugierig.
    »Doch, ich glaube ihr schon«, entgegnete der Junge, der sich immerhin so weit gefangen hatte, daß er seinen Discman ausschaltete.
    »Aber?« hakte Brunetti nach.
    »Ist nicht weiter wichtig«, sagte der Junge achselzuckend.
    »Nein, sagen Sie schon«, beharrte Brunetti. »Es interessiert mich wirklich.«
    »Mir ist egal, was mit meinem Gehör passiert«, erklärte der Junge.
    »Egal?« fragte Brunetti verständnislos. »Ob Sie taub werden?«
    »Nein, das nicht.« Der Junge sah Brunetti aufmerksam an. Offenbar wollte er sich ihm jetzt wirklich verständlich machen. »Aber bis es soweit kommt, das dauert Jahre und Jahre. Darum ist es egal. Genau wie das mit der globalen Erwärmung. Alles, was so lange dauert, kann mir egal sein.«
    Brunetti hatte keinen Zweifel daran, daß der Junge es ernst meinte. »Aber Sie gehen zur Schule, bereiten sich auf eine künftige Karriere vor - vermutlich eine militärische Laufbahn. Die wird auch noch etliche Jahre auf sich warten lassen. Ist Ihnen die denn auch egal?«
    Der Junge antwortete erst nach einigem Überlegen. »Das ist was anderes.«
    Brunetti ließ nicht locker. »Wieso?« fragte er.
    Das ungezwungene Gespräch und die Ernsthaftigkeit, mit der Brunetti auf ihn einging, nahmen

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