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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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die Taschen der Kleidungsstücke durch, fand jedoch nur ein paar Münzen und entwertete Vaporetto-Fahrscheine. Auf dem Schreibtisch stand ein Laptop, aber Brunetti verlor keine Zeit damit, ihn einzuschalten, wohl wissend, daß er ihn ohnehin nicht hätte bedienen können. Unter dem Bett lag, ganz hinten an die Wand geschoben, ein Geigenkasten. Die Lektüre entsprach seinen Erwartungen: Lehrbücher, ein Führerschein-Handbuch, eine Geschichte des AC Mailand und Bildbände über andere Fußballmannschaften. Auf dem untersten Bord lagen Notenhefte von Mozarts Violinsonaten und dem ersten Violinpart eines Streichkonzerts von Beethoven. Brunetti schüttelte verwundert den Kopf über den Kontrast zwischen der Musik auf dem Discman und der im Regal. Schließlich warf er noch einen Blick in den Schrank von Ruffos Stubenkameraden und auf dessen Schreibtisch, konnte aber auch hier nichts Interessantes entdecken.
    Doch angesichts des so ordentlich aufgeräumten Zimmers, der penibel gemachten Betten liebäugelte er einen Augenblick mit dem Gedanken, seinen Sohn Raffi unter Narkose zu setzen und nach San Martino zu verschleppen. Doch dann fiel ihm ein, was ihn hergeführt hatte, und der mißratene Einfall stahl sich auf leisen Sohlen davon.
    Die anderen Zimmer waren leer, zumindest antwortete niemand auf sein Klopfen, und so ging er zurück in den Waschraum, wo man den Toten gefunden hatte. Die Spurensicherung war schon im Einsatz, der Leichnam nun vollständig mit dem dunklen Wollpaletot bedeckt.
    »Wer hat ihn abgenommen?« fragte Santini, als er Brunetti kommen sah.
    »Vianello.«
    »Hätte er nicht tun sollen«, rief ein anderer Kriminaltechniker dazwischen.
    »Genau seine Worte«, versetzte Brunetti.
    Santini zuckte die Achseln. »Ich hätte nicht anders gehandelt.« Zwei der Männer brummten zustimmend.
    Brunetti wollte eben fragen, ob es schon Erkenntnisse über den Tathergang gebe, als er Schritte hörte. Er wandte sich um und erblickte Dottor Venturi, einen von Rizzardis Assistenten. Ein beiderseitiges Nicken war alles, was sie einander zur Begrüßung gönnten.
    Venturi, der, sofern nicht selbst betroffen, reichlich unsensibel war, trat vor die Leiche und stellte seine Arzttasche neben dem Kopf ab. Dann ließ er sich auf ein Knie nieder und zog dem Jungen den Paletot vom Gesicht.
    Brunetti, der den Anblick nicht ertrug, sah hinüber zu den Duschen, wo Santinis Assistent Pedone mit einer Plastikspraydose auf die Wand zu seiner Rechten zielte und lauter kleine Wölkchen eines dunkelgrauen Pulvers auf die Kacheln sprühte. Dabei ging er gewissenhaft von links nach rechts vor und kehrte, sobald eine Reihe fertig war, zum Ausgangspunkt zurück, um zwanzig Zentimeter tiefer erneut anzusetzen.
    Als die ganze Kabine eingesprüht war, hatte Venturi seine Untersuchung beendet und erhob sich, ohne das Gesicht des Toten wieder zu verhüllen.
    »Wer hat ihn runtergeholt?« war das erste, was der Gerichtsmediziner fragte.
    »Einer meiner Männer. Auf meine Veranlassung hin.«
    Brunetti bückte sich und deckte das Gesicht des Jungen wieder zu. Als er sich aufrichtete, sah er Venturi schweigend an.
    »Was soll das? Warum haben Sie das getan?«
    Brunetti war fassungslos. Hatte der Mann denn gar kein Pietätsgefühl? Ohne Venturis Frage zu beantworten, forschte er: »Und? Sieht es nach Selbstmord aus?«
    Venturis Schweigen währte so unhöflich lange, daß jeder merkte, er legte es darauf an, Brunetti zu brüskieren. Aber als Santini einsprang und mit einem »Na, was ist?« nachhakte, antwortete der Pathologe: »Solange ich ihn nicht aufgeschnitten habe, kann ich dazu gar nichts sagen.« Und direkt an Santini gewandt: »Habt ihr einen Stuhl gefunden? Irgendwas, worauf er hätte stehen können?«
    Einer der Kriminaltechniker rief herüber: »Einen Stuhl, ja. In der Dusche.«
    »Ihr habt ihn doch nicht verrückt, oder?« fragte Venturi scharf.
    »Ich habe ihn fotografiert«, antwortete der Mann eisig.
    »Achtmal, glaube ich. Anschließend hat Pedone die Fingerspuren gesichert. Dann erst habe ich ihn weggestellt, damit er Pedone nicht im Weg war, als er die Duschkabine einstäubte.« Er wies mit dem Kinn auf einen Holzstuhl vor einem der Waschbecken. »Da drüben, das ist er.«
    Der Doktor würdigte den Stuhl keines Blickes. »Ich schicke Ihnen meinen Bericht, wenn ich mit der Obduktion fertig bin«, sagte er zu Brunetti, nahm seine Tasche und ging.
    Sowie Venturis Schritte verklungen waren, fragte Brunetti den Kriminaltechniker: »Was ist

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