Brunetti 14 - Blutige Steine
mußten.
Nach etwa zehn Minuten kam Paola mit zwei Bechern zurück. »Das Beste beider Welten«, sagte sie, »heißes Wasser, Zitrone, Honig und Whiskey.«
Sie setzte sich zu ihm aufs Sofa, und nachdem sie den beiden stummen Moderatoren eine Weile zugeschaut hatte, bemerkte auch sie die Diskrepanz zwischen der übertriebenen Heiterkeit der Sprecher und den deprimierenden Zahlen, die in Endlosschleife unter ihnen durchzogen. »Kommt mir vor, als sähe man Nero die Leier schlagen, während Rom in Flammen aufgeht«, sagte sie.
»Das ist nur eine Legende«, korrigierte der Historiker in Brunetti.
Fünf Minuten vor Mitternacht stellte er den Ton wieder an, fuhr die Lautstärke aber rasch bis auf ein Minimum zurück. Die beiden Moderatoren verabschiedeten sich mit einem letzten schelmischen Lächeln und machten einer rasant geschnittenen Bildserie Platz, mit der ein Golfstaat um ausländische Investitionen oder um Touristen warb.
Ein Globus, getragene Klänge und dann ein neues Moderatorengesicht. Brunetti stellte den Ton lauter, und sie hörten einen Bericht über den jüngsten Selbstmordanschlag im Nahen Osten und gleich darauf einen zweiten, ausgeführt mit einem F-16-Kampfjet, der ebenso viele Opfer gefordert hatte. Es folgte eine Reportage aus Delhi über eine weitere fehlgeschlagene Friedensmission in Kaschmir.
Als der Moderator wieder auf den Schirm kam, waren seine Züge in einstudiertem Ernst erstarrt. Brunetti stellte noch etwas lauter. »Und jetzt Breaking-News aus Italien. Wir schalten nach Rom zu unserem Korrespondenten Arnoldo Vitale und dem Live-Bericht von einem Terroranschlag, der soeben durch die italienische Polizei vereitelt wurde. Arnoldo, hören Sie mich?«
»Laut und deutlich, Jim«, antwortete eine Stimme in leicht akzentuiertem Englisch. Während der kurzen Umschaltpause hörte man es knacken, dann erschien oben links auf dem Schirm der Kopf des Korrespondenten mit dem Petersdom im Hintergrund.
Groß im Bild sah man die graue Stuckfassade eines Wohnhauses, vor dem neben den schwarzen Jeeps und PKWs der Carabinieri vier nicht gekennzeichnete blaue Limousinen parkten. Ein kleiner Trupp mit Maschinengewehren, Sturmhauben und kugelsicheren Westen mit der Rückenaufschrift CARABINIERI lief offenbar planlos herum. Links an der Seite stand eine Gruppe von vier oder fünf Männern in Kampfanzügen und Strumpfmasken.
»Heute abend«, begann der Korrespondent, »stürmte die italienische Polizei ein Haus in Vigonza, einem ansonsten friedlichen Vorort der norditalienischen Stadt Padua, unweit von Venedig. Laut einer bislang ungenannten Quelle nutzten Mitglieder einer islamischen Fundamentalistengruppe eine der Wohnungen in dem Gebäude als Treffpunkt und Schulungszentrum. Italienische Sicherheitsexperten vermuten eine Verbindung zur Terrororganisation Al-Qaida und ihren amerikafeindlichen Umtrieben.
Ersten Berichten zufolge versuchte die Polizei die beiden mutmaßlichen Terroristen in der Wohnung zur Aufgabe zu bewegen. Deren gewalttätige Reaktion ließ den Einsatzkräften keine andere Wahl, als zu stürmen. Beim anschließenden Schußwechsel wurden ein Polizeibeamter verletzt und beide Terroristen getötet.«
»Gibt es schon«, hörte man den Studiosprecher aus dem Off fragen, »nähere Erkenntnisse über die Verbindung dieser Gruppe zum internationalen Terrorismus, Arnoldo?«
»Nun ja, Jim, offizielle Verlautbarungen stehen zwar noch aus, aber die italienische Polizei war den Leuten anscheinend schon seit geraumer Zeit auf der Spur. Im Lauf des Jahres sind bekanntlich in ganz Italien immer wieder mutmaßliche Terroristen festgenommen worden. Ein Regierungssprecher bekannte allerdings, dies sei der bislang blutigste Einsatz gewesen, und man könne nur hoffen, daß der heutige Zwischenfall nicht zukunftsweisend sei.«
»Besteht Gefahr für amerikanische Touristen, die in Italien unterwegs sind, Arnoldo?«
»Eindeutig nein, Jim. Der schon zitierte Sprecher erklärte, als Angriffsziel gegen US -Interessen käme in der Region allenfalls der US -Stützpunkt Vicenza in Frage. Die Behörden überprüfen das, sehen aber keine Gefahr für die Zivilbevölkerung.«
Währenddessen wuselten die Carabinieri weiter vor dem Gebäude herum. Endlich ging die Haustür auf, und zwei Männer trugen eine Bahre heraus, abgedeckt mit einem Tuch, unter dem sich eine längliche Silhouette abzeichnete. Eine zweite Bahre folgte, aber die Carabinieri ignorierten beide und richteten ihr Augenmerk auf die Menge, die sich
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