Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Befragten war tatsächlich bei dem jeweils angegebenen Arzt gewesen, aber immerhin neun Personen wußten überhaupt nichts von einem solchen Termin. Wir haben uns natürlich sofort auf einen Computerfehler rausgeredet - dem wir scheinbar pflichtschuldig nachgingen - und gaben uns peinlich berührt, als wir den Irrtum eingestanden und uns für die Störung entschuldigten.« Vianello hielt schmunzelnd inne, bevor er seinen Trumpf ausspielte: »Alle neun Termine kamen von Gabettis Apotheke.«
»Hast du denn nicht befürchtet, daß einer der Betroffenen den Apotheker nach eurem Anruf zur Rede stellen könnte?« wollte Brunetti wissen.
Vianello wischte die Frage mit einer Handbewegung beiseite. »Das ist ja grade das Geniale an der Sache!« rief er begeistert. »Keiner von denen hat Verdacht geschöpft. Nach meinem Eindruck haben sie uns das mit dem Computerfehler alle geglaubt.«
Brunetti, dessen Skepsis noch nicht ganz beseitigt war, wandte ein: »Aber was, wenn einer von diesen neun tatsächlich krank würde und ausgerechnet die Untersuchung brauchte, die laut Computer bereits bei ihm durchgeführt wurde?«
»Dann würde er sich vermutlich genauso verhalten wie jeder andere an seiner Stelle: Beteuern, daß die Untersuchung nie stattgefunden hat, und dem Computer die Schuld geben. Und da sein Ansprechpartner irgend so ein Sesselfurzer vom Gesundheitsdienst wäre, käme er sehr wahrscheinlich damit durch.«
»Und würde einen neuen Termin kriegen?«
»Denke schon«, sagte Vianello leichthin. »Jedenfalls ist das Risiko, daß da irgendwer Verdacht schöpft, gleich null.«
»Und wenn doch, dann sind's ohnehin bloß Steuergelder, die verschleudert wurden, richtig?«
»Ja, leider«, bestätigte Vianello. »Es wäre nur ein weiterer Fall in der langen Liste von Beamtenfehlern.«
Eine Weile schwiegen beide, dann konstatierte Brunetti: »Aber Schmiergeld hast du noch bei keinem deiner Apotheker gefunden.«
»Irgendeiner muß kassiert haben!« beharrte Vianello. »Ab morgen werden wir uns gezielt darum kümmern.«
»Klingt, als würdest du dir deinen Verdacht durch nichts und niemanden ausreden lassen.« Brunettis Ton war jetzt einigermaßen schroff.
»Mag sein«, versetzte Vianello rasch, fast entschuldigend. »Aber für jemanden mit ein bißchen krimineller Energie ist der Dreh einfach zu gut, als daß er widerstehen könnte. Noch dazu, wo die ULSS so eine leichte Beute ist.«
Brunetti indes ließ nicht locker. »Und wenn du dich trotzdem verspekuliert hast?«
»Dann hätte ich immer noch eine Menge dazugelernt, in Sachen Computerfahndung«, antwortete Vianello, und damit war die Harmonie zwischen beiden wiederhergestellt.
14
B runetti ging mit Vianello nach unten und von dort weiter zum Sekretariat, wo Signorina Elettra gerade telefonierte. Sie winkte ihn herein und fuhr, während sie ihm mit einem Fingerzeig bedeutete zu warten, ohne Unterbrechung fort, die scheinbar weitschweifigen Ausführungen vom anderen Ende der Leitung mit einsilbigen Kommentaren zu begleiten. »Ja ... Nein ... Gern ... Doch, doch«, flötete sie in den Hörer und machte sich nebenher eifrig Notizen. Dann, endlich, ein paar vollständige Sätze: »Das geht in Ordnung. Signor Brunini möchte den Dottore unbedingt konsultieren, ja. Ganz recht, er und seine Partnerin würden als Privatpatienten kommen.« Darauf folgte wieder eine Pause, die Brunettis Geduld jetzt, da ein Name gefallen und seine Neugier geweckt war, auf eine besonders harte Probe stellte.
»Ja, ich verstehe, natürlich. Ja, ich warte.« Signorina Elettra ließ den Hörer sinken und rieb sich das Ohr, bis eine weibliche Stimme aus der Muschel drang. »Ach, wirklich? So bald schon? Oh, Signora, das ist wunderbar! Signor Brunini wird überglücklich sein. Ja, habe ich notiert. Am Freitag, um fünfzehn Uhr dreißig. Ich gebe ihm sofort Bescheid. Und nochmals vielen Dank!«
Nachdem Signorina Elettra aufgelegt hatte, musterte sie Brunetti nachdenklich und trug dann etwas in ihren Notizblock ein.
»Sollte ich lieber nicht fragen?« erkundigte er sich.
»Das war die Villa-Colonna-Klinik. In Verona«, sagte Elettra. »Die von Ihrem Doktor.«
Trotz der etwas nebulösen Angabe verstand Brunetti sofort, wovon die Rede war.
»Und das gab Ihnen Anlaß zu ...« Brunetti stockte, um das rechte Wort verlegen, »... zu Spekulationen?« ergänzte er.
»Ja, so könnte man sagen«, antwortete sie, offenbar zufrieden mit seiner Wortwahl. »Über so allerlei. Hauptsächlich aber über den
Weitere Kostenlose Bücher