Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
Giornale. Wir würden uns bloß verdächtig machen, wenn ich mit einem Kommunistenblatt dort aufkreuzte.«
»Ach ja, beinahe hätte ich's vergessen, daß sie kleine Kinder fressen, diese kommunistischen Schreiberlinge«, sagte Brunetti im Plauderton, während sie sich den Weg zum Wagenende bahnten.
»Nein, wirklich?« fragte sie und drehte sich, schon an der Zugtür, nach ihm um.
»Meine Tante Anna hat fest dran geglaubt«, antwortete Brunetti. »Wahrscheinlich tut sie's heute noch.« Damit folgte er ihr die Stufen hinunter und weiter zur Treppe, über die sie aufs Straßenniveau und zum Ausgang gelangten.
Am Taxistand warteten ein paar Wagen; Brunetti öffnete die Fondtür des ersten in der Reihe und ließ Signorina Elettra einsteigen. Dann schloß er die Tür, ging um das Auto herum und nannte dem Fahrer, offenbar einem Inder oder Pakistani, Namen und Adresse der Klinik. Der Mann nickte, als sei ihm ihr Fahrziel geläufig.
Weder Brunetti noch Signorina Elettra sagten etwas, während das Taxi sich in den Verkehr einfädelte, vor dem Bahnhof links abbog und, wenn Brunetti seinem Orientierungssinn trauen durfte, nach Westen fuhr. Wie so oft wunderte sich der Commissario auch diesmal über den dichten Verkehr und den Lärm, den er verursachte und der selbst durch die geschlossenen Fenster ihres Taxis drang. Von allen Seiten schienen Autos auf sie zuzusteuern; manche bedrängten sie hupend, was Brunetti immer schon besonders gestört hatte. Der Fahrer fluchte in einer Sprache, die jedenfalls nicht Italienisch war, während er abwechselnd bremste oder aufs Gas stieg, je nachdem, ob sich vor ihnen eine Lücke auf tat oder schloß. Sosehr er sich auch bemühte, es gelang Brunetti nie ganz zu verstehen, nach welchem Prinzip ein Autofahrer auf das, was er sah, reagierte: Vielleicht gab es ja auch keins.
Er lehnte sich zurück und musterte die schier endlose Reihe neuer Fertigbauten zu seiner Linken, lauter häßliche Flachkonstruktionen, die offenbar alle Verkaufszwecken dienten.
Mit gedämpfter Stimme fragte Signorina Elettra neben ihm: »Wollen wir unser Spiel durchziehen?«
»Ich denke schon«, antwortete er, obwohl sie allein den Plan ausgeheckt hatte, nicht beide gemeinsam und er schon gar nicht. »Ich werde der Verzweiflung nahe sein und bereit, alles zu tun, um Sie glücklich zu machen.«
»Und ich bekomme Gelegenheit, eine interessante Rolle zu spielen.«
Bevor Brunetti antworten konnte, kam das Taxi so abrupt zum Stehen, daß sie nach vorne fielen und sich mit beiden Händen an den vorderen Sitzlehnen abstützen mußten, um nicht dagegenzukrachen. Der Fahrer fluchte und brabbelte abwechselnd vor sich hin, während er mit der Faust aufs Armaturenbrett trommelte. Vor ihnen stand ein bulliger Laster mit rotflammenden Bremslichtern, aus dessen Auspuff schwarze Abgaswolken quollen. Binnen Sekunden war das Taxi in schwarzen Rauch gehüllt, und beißender Geruch wie von brennendem Öl machte sich im Wageninnern breit.
»Wird der Laster da vor uns explodieren?« rief Brunetti dem Fahrer zu, ohne sich zu fragen, woher der Mann das wissen sollte.
»Nein, Signore«, bekam er zur Antwort.
Was Brunetti sonderbarerweise beruhigte. Er lehnte sich wieder zurück und sah Signorina Elettra an, die eine Hand vor Mund und Nase preßte.
Brunetti zückte sein Taschentuch, doch gerade als er es ihr reichen wollte, machte das Taxi einen Satz nach vorn und schoß an dem Laster vorbei. Dann rauschten sie in einem Tempo davon, das die beiden Fahrgäste tief in ihre Sitze drückte. Als Brunetti sich umdrehte, war der Laster schon nicht mehr zu sehen.
»Mein Gott«, ächzte Signorina Elettra, »wie kann ein Mensch nur so leben?«
»Keine Ahnung«, versetzte Brunetti.
Die beiden verfielen in Schweigen, und nicht lange danach verlangsamte das Taxi seine Fahrt und bog in eine Auffahrt ein, an deren Ende sich ein dreistöckiges Palais erhob.
»Zwölf Euro fünfzig«, verlangte der Fahrer, als sie vor dem Eingang zu der blitzenden Stahl-und-Glas-Konstruktion hielten.
Brunetti gab ihm einen Zehner und einen Fünfer: »Stimmt so.«
»Eine Quittung gefällig, Signore?« fragte der Taxichauffeur. »Kann ich Ihnen für jede gewünschte Summe ausstellen.«
Brunetti lehnte dankend ab, stieg aus und lief auf die andere Seite, um Signorina Elettra die Tür aufzuhalten. Sie schwang beide Beine elegant übers Trittbrett, setzte die Füße auf den Boden und nahm Brunettis Arm. »It's Showtime, Commissario«, flüsterte sie an seine Schulter
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