Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
»Dieser Gabetti, mußt du wissen, ist ein ausgemachter Geizhals. Hat die Apotheke vor etwa vierzig Jahren von seinem Vater übernommen und seitdem nichts dran gemacht. Man sagt, wer sich bei ihm in die Hinterzimmer verirrt, käme sich vor wie in Albanien oder sonstwo. Und auf seiner Toilette drehe es einem den Magen um. Der Mann war nie verheiratet, hat nie mit jemandem zusammengelebt. Ihn interessiert nichts weiter, als Geld zu verdienen, es anzulegen und zuzusehen, wie es sich vermehrt. Das ist sein einziger Lebensinhalt: Geld.«
»Und du glaubst, aus lauter Habgier sei er zu solchen Betrügereien imstande?« fragte Brunetti, dem das eher unwahrscheinlich schien.
»Jedenfalls kommen die meisten Apotheken-Überweisungen an die drei besagten Ärzte von Signor Gabetti.«
»Ja, wenn das so ist ...« Seufzend revidierte Brunetti seine vorgefaßte Meinung. »Und was ist mit deinem zweiten Kandidaten?«
Vianellos Mienenspiel wechselte, und er nickte unwillkürlich, als schließe er sich diesmal Brunettis Unschuldsvermutung an.
»Dottor Franchi ist erzfromm; lebt, wie gesagt, immer noch bei der Mutter, an der er offenbar sehr hängt. Getratscht wird nicht viel über ihn, und Gerüchte, wonach er scharf auf Geld wäre, gibt's schon gar nicht. In seinen Kontoauszügen habe ich auch keine Auffälligkeiten entdeckt.«
»Irgendwas ist aber doch immer faul, auch und gerade bei solchen Frömmlern«, entgegnete Brunetti. Wenn Vianello einen Mann wegen seiner Raffgier verdächtigte, stand es ihm wohl frei, mißtrauisch gegen einen Betbruder zu sein. »Wenn dieser Dottor Franchi nichts mit Sex und Drogen am Hut hat und auch nicht ins Kasino geht, wofür interessiert er sich denn dann?«
»Hab ich dir doch gesagt: für die Kirche!« rief Vianello und amüsierte sich über Brunettis verdutztes Gesicht. »Er gehört einem dieser strengreligiösen Katechetenkreise an: zweimal die Woche Gebetstreffen, kein Alkohol, nicht einmal Wein zum Essen, kein ... also kein gar nichts, anscheinend.«
»Woher weißt du das alles?«
»Ach, ich hab mich ein bißchen umgehört«, antwortete Vianello ausweichend. »Aber glaub mir, dieser Mann ist ein unbeschriebenes Blatt. Der lebt nur für seine mamma und die heilige Mutter Kirche.« Vianello schwieg eine Weile. »Und dem Vernehmen nach«, ergänzte er schließlich, »frönt er obendrein noch seinem Stolz auf die eigene vorbildliche Lebensführung und beklagt im Gegenzug die Lasterhaftigkeit seiner Mitmenschen. Wobei sein Tugendbegriff allerdings sehr eigenwillig definiert ist.«
»Wieso?«
»Weil Franchi sich zum Beispiel weigert, in seiner Apotheke Kondome zu verkaufen.«
»Was?«
»Ja, du hast dich nicht verhört! Rezeptpflichtige Verhütungsmittel wie Antibabypille oder die Pille danach kann er nicht verweigern, Präservative dagegen schon, und von dem Recht macht er Gebrauch.«
»Im einundzwanzigsten Jahrhundert?« Brunetti verbarg sein Gesicht in den Händen.
»Ich sag doch: Der zimmert sich seinen eigenen Tugendkanon.«
Brunetti nahm die Hände vom Gesicht. »Und was ist mit den anderen? Die du noch nicht überprüft hast?«
»Einen davon kenne ich, Andrea in San Bortolo. Der würde sich niemals auf krumme Touren einlassen.«
»Wirst du sie trotzdem alle unter die Lupe nehmen?« fragte Brunetti.
»Natürlich«, sagte Vianello, und es klang gekränkt.
Brunetti wechselte rasch das Thema. »Aber wie hast du überhaupt herausgefunden, von welchen Apotheken diese Facharzttermine vermittelt werden?«
Mit unverhohlenem Stolz begann Vianello, seine Ermittlungsstrategie zu erklären: »Die Krankenhausdateien sind so programmiert, daß man die Konsultationen sowohl nach Datum wie nach Patient, nach behandelndem Arzt oder nach Terminvermittler abrufen kann. Wir haben einfach alle Facharztkonsultationen für das letzte Jahr zurückverfolgt.« Darauf, wer sich hinter diesem »wir« verbarg oder wie man an die Dateien gelangt war, ging Vianello wohlweislich nicht ein. »Anschließend haben wir alle Termine aufgelistet, die über eine Apotheke vermittelt wurden, aus diesen wiederum sämtliche Patienten der letzten zwei Wochen herausgesucht und sie unter dem Vorwand angerufen, es handele sich um eine Umfrageerhebung mit dem Ziel, die Kundenfreundlichkeit der ULSS zu ermitteln.« Vianello machte eine Pause, gespannt darauf, wie groß Brunettis Bewunderung für diese Sisyphosarbeit sein würde. Doch sein Vorgesetzter ließ sich nichts anmerken, und so fuhr er fort. »Die Mehrzahl der
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