Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
gelehnt und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, begleitet von einem verstohlenen Augenzwinkern.
Die Eingangstür öffnete sich automatisch und gab den Blick frei auf eine Empfangshalle, die einer Werbeagentur, vielleicht sogar einem Fernsehstudio alle Ehre gemacht hätte. Es roch förmlich nach Geld. Geld, das nicht die Reklametrommel rührte und auch sonst in keiner ordinären Weise auf sich aufmerksam machte und doch unübersehbar präsent war. Im erlesenen Parkett, den persischen Miniaturen an den Wänden und der Polstergarnitur aus hellem Leder, die drei Seiten eines quadratischen Marmortisches umrahmte. Das opulente Bouquet darauf stellte alles in den Schatten, was Signorina Elettra bislang an Blumenschmuck für die Questura geordert hatte.
Eine junge Frau, an Schönheit den Blumen ebenbürtig, wenn auch verhaltener in der Farbwahl, saß an einem Officetisch mit Glasplatte. Sie hatte weder Papier noch Schreibutensilien vor sich, sondern nur einen Computer mit Flachbildschirm und Tastatur. Durch die spiegelblanke Tischplatte sah Brunetti, daß sie mit züchtig geschlossenen Beinen dasaß. Unter dem Saum ihrer schwarzen Seidenhosen lugte ein Paar brauner Schuhe hervor.
Sie lächelte den Eintretenden entgegen, wobei sich zu beiden Seiten ihres perfekt geformten Mundes je ein Grübchen bildete. Ihr Haar schien naturblond zu sein, auch wenn Brunetti sich inzwischen nicht mehr zutraute, das eindeutig festzustellen. Sie hatte grüne Augen, von denen eins eine Spur größer wirkte als das andere. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie, und es klang, als sei dies ihr erklärtes Lebensziel.
»Mein Name ist Brunini«, sagte er. »Ich habe um halb vier einen Termin bei Dottor Calamandri.«
Wieder dieses Lächeln. »Einen Augenblick, ich sehe gleich mal nach.« Sie wandte sich zur Seite und tippte etwas in den Computer, wobei sie mit ihren stumpf gefeilten Nägeln sorgfältig Taste für Taste drückte. Sekundenlang blickte sie wartend auf den Bildschirm, dann schaute sie wieder zu den beiden auf und sagte: »Wenn Sie dort drüben Platz nehmen möchten? Der Dottore wird Sie in fünf Minuten empfangen.«
Brunetti nickte und wandte sich der Polstergarnitur zu. Doch die junge Frau kam hinter ihrem Schreibtisch hervor, um sie persönlich zur Sitzgruppe zu geleiten, so als könnten sie die zwei Meter nicht allein bewältigen.
»Darf ich einem von Ihnen etwas zu trinken bringen?« fragte sie, mit unverändert strahlendem Lächeln.
Signorina Elettra schüttelte den Kopf, sagte aber nicht einmal danke. Sie war schließlich die verwöhnte Partnerin eines reichen Mannes, und so jemand verschwendete keine Höflichkeiten an Personen in untergeordneter Stellung. Schon gar nicht, wenn es sich dabei um eine jüngere Frauensperson handelte und sie selbst in männlicher Begleitung war.
Die beiden nahmen Platz, und die Blondine kehrte an ihren Schreibtisch und zu ihrem Computer zurück, dessen Bildschirm Brunetti bedauerlicherweise nicht einsehen konnte. Er überflog die Titel der Zeitschriften, die unter dem Blumenarrangement auslagen: AD, Vogue, Focus. Nichts so Ordinäres wie Gente oder Oggi oder Chi, jene Illustrierten, auf die man sich im Wartezimmer seines Hausarztes freute.
Er griff nach dem Architectural Digest, legte das Heft jedoch ungeöffnet wieder zurück, weil ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, daß er doch hier war, um sich einzig und allein den Wünschen seiner Partnerin zu widmen. Er beugte sich zu ihr und fragte: »Wie fühlst du dich?«
»Sobald das hier vorbei ist, geht's mir bestimmt wieder gut.« Sie sah zu ihm auf und versuchte tapfer zu lächeln.
Eine Weile sprach keiner von beiden, und Brunettis Blick irrte abermals hinüber zu den Zeitschriften. Dann hörte er eine Tür gehen und sah, als er hochschaute, eine Frau - älter als die am Schreibtisch und auch nicht so attraktiv - auf sich und Elettra zukommen. Ihr braunes, kinnlanges Haar war in der Mitte gescheitelt und ins Gesicht frisiert. Sie trug einen weißen Laborkittel über einem grauen Wollrock. Ihre Beine waren wohlproportioniert und muskulös, die Beine einer Tennisspielerin oder Joggerin, aber deshalb nicht minder schön.
Brunetti erhob sich. Die Frau streckte ihm die Hand hin und sagte: »Buona sera, Signor Brunini.« Brunetti dankte für den freundlichen Empfang. Eine leichte Verbeugung, und er entdeckte den Grund für ihre Haartracht: Eine dicke Make-up-Schicht suchte vergeblich die unebenen Narben zu kaschieren, die von Akne oder einer
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