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Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume

Titel: Brunetti 17 - Das Mädchen seiner Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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und von ihm erfahren hätte, Rocich sei bei ihnen gewesen.« Er erinnerte sich an den coolen Bürokraten, den er ihnen vorgespielt hatte, den Kriminalisten, dem es nur um seine Beweissicherung zu tun war.
    Brunetti schwieg eine Weile. Er nippte an seinem Grappa, dem Tignanello, den Paola ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Ein wirklich guter Tropfen, und trotzdem wollte er ihm heute nicht schmecken. Er stellte das Glas zurück auf den Tisch.
    »Es hat nicht geklappt«, gestand er. »Sie sagten, sie hätten keine Ahnung, wer dieser Rocich sei, oder warum ein Rama sich mit ihnen hätte in Verbindung setzen wollen.« Signora Vivarini war diejenige gewesen, die ihm die Stirn bot, während ihr Mann kopfschüttelnd dabeistand und den Mund nur aufbekam, wenn Brunetti ihn direkt ansprach.
    Brunetti stellte die gekreuzten Beine nebeneinander, streckte sie aus und legte die Füße auf der unteren Sprosse des Terrassengeländers ab. Dabei fiel ihm ein, wie ängstlich sie als junge Eltern darauf geachtet hatten, die Terrassentür stets geschlossen zu halten. Die Kinder hatten nur hinausgedurft, wenn einer von ihnen dabei war. Brunetti selbst vermied es auch nach all den Jahren noch, über die Brüstung die vier Stockwerke nach unten zu schauen.
    Paola ließ eine ganze Weile verstreichen, bevor sie fragte: »Was glaubst du, wie es sich abgespielt hat?«
    Brunetti hatte in den letzten Tagen an kaum etwas anderes gedacht, hatte sich die verschiedensten Szenarien ausgemalt und wieder verworfen, und immer stand ihm dabei das Bild des Mädchens vor Augen. »Die Tochter war zu Hause«, sagte er endlich. »Zusammen mit ihrem Freund, wahrscheinlich in ihrem Zimmer. Irgendwann haben sie verdächtige Geräusche gehört.« Er schloss die Augen und versuchte es sich vorzustellen. »Der Junge, egal ob er high war oder betrunken, hat bestimmt den Beschützer markiert und nachgeschaut, was los war.«
    »Und die Streifen?«, fragte Paola plötzlich. »Wie konnte das Kind die sehen?«
    Er wandte sich dem Schatten ihres Kopfes zu, der im erlöschenden Zwielicht kaum noch auszumachen war. »Ihre Eltern waren nicht zu Hause, Paola. Die beiden waren nicht in Ludovicas Schlafzimmer, um Matheaufgaben zu lösen.«
    Er überließ es ihr, sich die Szene auszumalen, die ihm vor Augen stand: der nackte Junge, wie er, aus dem Bett aufgeschreckt, mit wilden Streifen an Armen und Beinen brüllend auf die Zigeunerkinder losstürzte. »Tigermann«, sagte Paola.
    »Das Elternschlafzimmer hat eine Tür zur Terrasse«, sagte Brunetti. »Durch die sind die Kinder wahrscheinlich reingekommen. Also werden sie auch versucht haben, auf diesem Weg zu fliehen.«
    »Und was geschah dann?«, fragte Paola.
    Sie konnte sein Schulterzucken zwar nicht sehen, meinte aber zu hören, wie seine Jacke gegen die Stuhllehne schabte. »Das werden wir wohl nie erfahren«, sagte Brunetti endlich. »Aber der Bruder sagte doch ...«, begann Paola.
    »Der Bruder«, fiel Brunetti ihr ins Wort, »war als Junge vermutlich der Anführer. Und er hat zugelassen, dass seine Schwester ums Leben kam.« Bevor Paola etwas einwenden konnte, fuhr er fort: »Ich weiß, ich weiß, er konnte nichts dafür. Aber ich rede auch nicht davon, was tatsächlich geschehen ist, sondern davon, wie er es wahrgenommen hat. Sie war bei ihm, in seiner Obhut. Und als ihr etwas zustieß, gab er sich die Schuld.«
    Eine lange Pause trat ein, dann sagte er: »Aber wenn sie vom Dach gestoßen wurde, wäre er nicht verantwortlich.« Bevor sie widersprechen konnte, ergänzte er: »Ich versuche ja nur, es aus seiner Sicht zu sehen.« Er verstummte, und die Geräusche der Stadt schwebten zu ihnen herauf: hallende Schritte, eine Männerstimme aus einem der Fenster unter ihnen, ein Fernseher aus einer Wohnung weiter weg.
    »Aber warum waren die Fornaris dann so schuldbewusst?«, fragte Paola endlich.
    »Vielleicht war es gar kein Schuldbewusstsein«, sagte Brunetti. »Was denn sonst?« »Angst.«
    »Vor den Zigeunern?«, fragte sie überrascht. »Meinst du, sie fürchten so eine Art Vendetta?« Ihr Ton verriet, dass sie das nicht glaubhaft fand. »Aber nach dem, was du mir erzählt hast, hat sich außer der Mutter und dem Bruder doch fast keiner darum geschert, was mit dem Mädchen passiert ist.«
    »Nein, doch nicht vor den Zigeunern!«, sagte Brunetti und wunderte sich, wo sie wohl all die Jahre gelebt hatte.
    »Vor wem dann?«, fragte sie, immer noch im Dunkeln tappend.
    »Dem Staat. Der Polizei. Davor, beschuldigt zu werden

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