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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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zu bieten hat, konnte das gar nicht anders sein, Signora«, sagte Guarino mit todernster Stimme.
    Brunetti beobachtete, wie sie dem, der das gesagt hatte, ihre Aufmerksamkeit zuwandte. »In der Tat«, antwortete sie und strahlte Guarino an. »Es freut mich sehr, endlich einmal jemanden zu hören, der ihn auch so anregend findet.«
    »Wie könnte man nicht, Signora? Oder muss ich Signorina sagen?«, fragte Guarino mit einem Schuss Neugier in der Stimme - oder war es Verblüffung ob der Möglichkeit, dass eine Frau wie sie noch nicht verheiratet sein könnte?
    »Nach unserem gegenwärtigen Regierungschef ist Vice-Questore Patta der anregendste Mensch, der mir je begegnet ist«, antwortete sie lächelnd, freilich nur auf die erste seiner Fragen.
    »Das glaube ich gern«, stimmte Guarino zu. »Beide haben auf ihre Weise etwas Charismatisches.« Er wandte sich an Brunetti. »Gibt es einen Ort, wo wir reden können?«
    Brunetti verkniff sich eine Bemerkung und nickte nur, und die beiden verließen das Büro. Während sie die Treppe hinaufgingen, fragte Guarino: »Wie lange arbeitet sie schon für den Vice-Questore?«
    »Lange genug, um vollständig in seinen Bann zu geraten«, antwortete Brunetti. Und als Guarino ihn ansah: »Ich bin mir nicht sicher. Jahre. Es kommt mir vor, als sei sie schon immer hier, aber das stimmt nicht.«
    »Würde hier alles drunter und drüber gehen, wenn sie nicht da wäre?«, fragte Guarino.
    »Ja, das ist zu befürchten.«
    »Bei uns haben wir auch so eine«, sagte der Maggiore. »Signora Landi: die außerordentliche Gilda. Ist Ihre Signora Landi Zivilistin?«
    »Ja, das ist sie«, antwortete Brunetti und wunderte sich, dass Guarino die so betont salopp über ihre Stuhllehne drapierte Kostümjacke übersehen hatte. Brunetti kannte sich in Modedingen wenig aus, aber ein Etro-Futter erkannte auch er aus zwanzig Schritt Entfernung, und er wusste, dass das Innenministerium dergleichen nicht für seine Uniformjacken zu verwenden pflegte. Guarino war der Hinweis offenbar entgangen. »Verheiratet?«
    »Nein«, antwortete Brunetti und überraschte sich selbst mit der Frage: »Und Sie?«
    Brunetti war dem Kollegen vorausgegangen und bekam Guarinos Antwort daher nicht mit.
    Er drehte sich um und sagte: »Verzeihung?«
    »Nicht direkt«, sagte Guarino.
    Was zum Teufel soll das denn heißen?, fragte sich Brunetti. »Bedaure, aber das verstehe ich nicht«, sagte er höflich. »Wir leben getrennt.« »Oh.«
    In seinem Büro führte Brunetti den Gast ans Fenster und zeigte ihm die Aussicht: die Kirche, die seit Ewigkeiten restauriert werden sollte, und das komplett renovierte Altersheim.
    »Wo führt der Kanal hin?«, fragte Guarino, indem er sich vorbeugte und nach rechts schaute.
    »Zur Riva degli Schiavoni und dem bacino.« »Sie meinen die laguna?«
    »Na ja, das Gewässer, das in die laguna hinausführt.«
    »Entschuldigen Sie, wenn ich wie ein Landei daherrede«, sagte Guarino, »ich weiß, das ist eine Großstadt, aber irgendwie kommt es mir nicht so vor.«
    »Keine Autos?«
    Guarino lächelte und wurde jünger. »Daran liegt es wohl auch. Aber das Seltsamste ist die Stille.« Als Brunetti nach längerer Pause gerade etwas sagen wollte, fügte er hinzu:
    »Ich weiß, ich weiß, die meisten Leute in den großen Städten hassen den Verkehr und den Smog, aber das Schlimmste ist der Lärm, glauben Sie mir. Der hört nie auf, nicht einmal spätabends oder frühmorgens, immer lärmt irgendwo etwas: ein Bus, ein Auto, ein landendes Flugzeug, eine Alarmanlage.«
    »Bei uns kann es schlimmstenfalls mal passieren«, sagte Brunetti lachend, »dass Leute spätabends unter unserem Fenster stehen bleiben und sich unterhalten.«
    »Da müssten sie aber schon sehr laut reden, wenn sie mich stören wollten«, erwiderte Guarino ebenfalls lachend. »Warum?«
    »Ich wohne im sechsten Stock.«
    »Aha«, war das Einzige, was Brunetti dazu einfiel, so ungewöhnlich war das für ihn. Theoretisch wusste er natürlich, dass Stadtbewohner in hohen Gebäuden lebten, doch welche Geräusche man im sechsten Stock hören mochte, konnte er sich nicht recht vorstellen.
    Er winkte Guarino auf einen Stuhl und setzte sich. »Was versprechen Sie sich vom Vice-Questore?«, fragte er, denn er meinte, sie hätten nun genug Zeit mit Vorgeplänkel verbracht. Er zog mit einem Fuß die zweite Schublade von oben auf und legte beide Füße darauf ab.
    Die lässige Geste schien Guarino noch mehr aufzulockern. »Vor knapp einem Jahr«, sagte er,

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