Brunetti 18 - Schöner Schein
»wurden wir auf ein Speditionsunternehmen in Tessera aufmerksam, nicht weit vom Flughafen.«
Brunetti war sofort hellwach: Vor einem Monat war die gesamte Region auf ein Speditionsunternehmen aus Tessera aufmerksam geworden.
»Unser Interesse wurde geweckt, als der Name der Firma in Zusammenhang mit einer anderen Ermittlung auftauchte«, fuhr Guarino fort. Das war eine Routinelüge, wie Brunetti sie selbst schon tausendmal benutzt hatte, aber er ließ sie unkommentiert durchgehen.
Guarino streckte die Beine aus und sah nach dem Fenster, als könne der Anblick der Kirchenfassade ihm helfen, seinen Bericht so klar wie möglich zu formulieren. »Nachdem wir auf diese Firma aufmerksam geworden waren, haben wir uns den Inhaber vorgenommen. Er hatte den Betrieb, seit fünfzig Jahren in Familienbesitz, von seinem Vater geerbt. Wie sich herausstellte, war er in Schwierigkeiten geraten: steigende Treibstoffkosten, Konkurrenz durch ausländische Spediteure, Arbeiter, die jedes Mal streikten, wenn sie nicht bekamen, was sie verlangten, nötige Neuanschaffungen von Lastwagen und Maschinen.«
Brunetti nickte. Wenn das dieselbe Spedition in Tessera war, dann zählte ihr Ende jedenfalls nicht zu den üblichen Ereignissen. Mit einer Offenheit und Resignation, die Brunetti überraschte, sagte Guarino: »Also tat er, was jeder tun würde. Er fing an, die Bilanzen zu frisieren.« Und fast mit Bedauern fügte er hinzu: »Aber er war nicht sehr geschickt. Er konnte Lastwagen fahren und reparieren und Abholung und Anlieferung organisieren, aber ein Buchhalter war er nicht, und so hat die Guardia di Finanza gleich beim ersten Blick in seine Unterlagen den Braten gerochen.«
»Warum wurden seine Unterlagen geprüft?«, fragte Brunetti.
Guarino machte eine vielsagende Geste. »Hat man ihn verhaftet?«
Der Maggiore betrachtete seine Schuhe, dann fuhr er sich übers Knie, als wische er einen unsichtbaren Fleck weg. »Ich fürchte, die Sache ist komplizierter.« Brunetti hatte nichts anderes erwartet: Warum sonst hätte Guarino ihn aufsuchen sollen?
Bedächtig und nach einigem Zögern erklärte Guarino: »Die Person, die uns auf ihn aufmerksam machte, hat behauptet, was er transportiere, könnte uns interessieren.«
Brunetti unterbrach ihn: »Es wird viel transportiert, für das wir uns interessieren. Vielleicht könnten Sie etwas deutlicher werden.«
Ohne auf die Unterbrechung einzugehen, fuhr Guarino fort: »Ein Freund von mir bei der Finanza hat mir berichtet, was sie gefunden haben, worauf ich mit dem Spediteur gesprochen habe.« Er warf Brunetti einen Blick zu und sah dann weg. »Ich habe ihm einen Handel vorgeschlagen.«
»Als Gegenleistung dafür, dass Sie ihn nicht festnehmen?«, fragte Brunetti unnötigerweise.
Plötzlich verlor Guarino die Fassung. »Das wird doch ständig gemacht. Das wissen Sie ganz genau.« Brunetti sah ihm an, dass er sich zu einer unbedachten Bemerkung hinreißen lassen würde. »Ich bin mir sicher, Sie machen so etwas auch.« Und schon war Guarinos Miene wieder entspannt.
»Ja, wir machen das auch«, sagte Brunetti ruhig, und um Guarino zu einer Reaktion zu veranlassen, fügte er hinzu: »Und es funktioniert nicht immer so, wie man es sich gedacht hat.«
»Was wissen Sie von der Sache?«, wollte der Maggiore wissen.
»Nicht mehr als das, was Sie mir jetzt erzählt haben, Maggiore.« Als Guarino schwieg, fragte Brunetti: »Und was ist dann passiert?«
Guarino wischte noch einmal über sein Knie, dann ließ er die Hand ruhig dort liegen. »Er wurde bei einem Raubüberfall getötet«, sagte er schließlich.
Allmählich sickerten die Einzelheiten in Brunettis Gedächtnis. Da Tessera näher an Mestre als an Venedig lag, hatte Mestre den Fall übernommen. Patta hatte sich schwer ins Zeug gelegt, hatte personelle Unterbesetzung und ungeklärte Zuständigkeiten ins Feld geführt, um zu verhindern, dass die Polizei von Venedig in die Ermittlungen hineingezogen wurde. Brunetti hatte damals mit Kollegen in Mestre darüber gesprochen, aber die meinten, es sehe ganz nach einem stümperhaften Raubüberfall aus und Spuren gebe es keine.
»Er kam immer als Erster«, fuhr Guarino fort. Brunetti registrierte verärgert, dass Guarino es nicht für nötig hielt, den Namen des Mannes zu nennen. »Mindestens eine Stunde vor den Fahrern und den anderen Beschäftigten. Man hat ihn erschossen. Mit drei Kugeln.« Guarino sah Brunetti an. »Das wissen Sie natürlich. Das hat alles in den Zeitungen gestanden.«
»Ja«,
Weitere Kostenlose Bücher