Brunetti 18 - Schöner Schein
macht sein Onkel?«
»Unter anderem besitzt er ein paar Pizzerias: eine in Treviso, eine in Mestre und eine hier, in der Nähe des Bahnhofs.«
»Und was besitzt er noch?«
»Eine Spedition - Lastwagen, die Obst und Gemüse aus dem Süden herbringen.«
»Und was bringen sie zurück?«
»Das habe ich nicht herausfinden können, Signore.«
»Verstehe. Sonst noch was?«
»Früher hat er Lastwagen an Signor Cataldo vermietet.« Sie sagte das mit unbewegter Miene, fast als habe sie den Namen noch nie gehört.
»Verstehe. Und was noch?« »Der Neffe, Signore: Antonio. Wie es aussieht - aber das sind nur Gerüchte -, hat er was mit Signora Cataldo«, sagte sie mit vollkommen ausdrucksloser Stimme.
Bei Gelegenheiten wie dieser konnte sie Brunetti auf die Palme bringen, aber dann erinnerte er sich an sein Verhalten, als er ins Kreuzfeuer ihres Flirts mit Guarino geraten war, und fragte nur: »Mit der ersten Frau oder mit der zweiten?«
»Mit der zweiten.« Und nach einer Pause: »Die Leute waren ganz wild darauf, mir das zu erzählen.« »Was genau?«
»Dass er mindestens einmal mit ihr essen gegangen ist, als ihr Mann nicht da war.«
»Dafür könnte es eine harmlose Erklärung geben«, sagte Brunetti.
»Ganz bestimmt, Signore, besonders wenn ihr Mann und sein Onkel gemeinsame geschäftliche Interessen haben.«
Er wusste, sie hatte noch mehr und noch Belastenderes auf Lager, aber er hatte nicht vor, sie danach zu fragen.
Als klar war, dass Brunetti ihr das Feld überließ, sagte sie: »Es wurde auch beobachtet, wie er ihre Wohnung verließ - oder, um genau zu sein: das Gebäude, in dem sie eine Wohnung haben. Um zwei Uhr morgens.«
»Von wem beobachtet?«
»Von Leuten, die dort wohnen.«
»Woher wussten die, wer er war?«, fragte Brunetti.
»Damals wussten sie es noch nicht, aber sie merkten sich sein Gesicht, wie man es eben tut, wenn man so spät nachts einen Unbekannten bei sich im Haus bemerkt. Ein paar Wochen später sahen sie Signora Cataldo in einem Restaurant, zusammen mit demselben Mann, und als sie zu ihr gingen und sie grüßten, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn vorzustellen: Antonio Terrasini.«
»Und wo haben Sie das alles her?«, fragte Brunetti betont beiläufig.
»Als ich mich nach Cataldo erkundigte, bekam ich das als Zugabe. Zweimal.«
»Warum sind bloß alle so versessen darauf, Gerüchte über die Signora zu verbreiten?«, fragte Brunetti in einem gleichgültigen Ton, der es ihr erlaubte, sich zu diesen Leuten zu zählen oder nicht.
Sie wandte sich von ihm ab und sah wieder aus dem Fenster. »Wahrscheinlich hat das nicht direkt mit ihr zu tun, Signore. Denken Sie an das Klischee vom alten Mann, der eine viel jüngere Frau heiratet. Der Volksmund sagt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn betrügt. Außerdem tratschen die Leute nun einmal gern, besonders über jemanden, der zurückgezogen lebt.« »Und das tut sie?«
»So sieht es aus, Signore.«
Brunetti sagte nur: »Verstehe.« Inzwischen war der Schnee auf dem Kirchendach vollständig geschmolzen; er glaubte von den Ziegeln Dampf aufsteigen zu sehen.
»Danke, Signorina.«
Franca Marinello und Antonio Terrasini. Eine Frau, von der er etwas zu wissen glaubte, und ein Mann, von dem er sehr viel mehr wissen wollte. Wer hatte noch mal gesagt, sie habe sich angestrengt, um Brunetti zu beeindrucken? Paola?
War das so einfach?, fragte er sich. Brauchte eine Frau nur über Bücher zu reden und einen halbwegs vernünftigen Eindruck zu machen, und schon fiel er ihr in die Hand wie eine reife Feige? Erzählte sie ihm erst, sie lese gern Cicero, und traf sich dann zum Essen mit... mit wem, und um dann was zu tun? Wie passte ein Rüpel wie Terrasini da hinein? Obwohl - auf dem Foto sah er nicht rüpelhaft aus. Eher aalglatt.
Er ließ den Abend mit Franca Marinello noch einmal Revue passieren und musste zugeben, ihr Anblick hatte ihn, auch als sie sich schon stundenlang gegenübersaßen, immer wieder aus der Fassung gebracht. Wenn eine Bemerkung von ihm sie amüsierte, konnte er das nur in ihren Augen oder am Tonfall ihrer Antwort erkennen. Sie zeigte immer dieselbe unbewegte Miene, ganz gleich, ob er sie zum Lachen brachte oder ob sie von ihrem Abscheu gegenüber Marcus Antonius sprach.
Sie war noch in den Dreißigern, ihr Mann war fast doppelt so alt. Brauchte sie nicht manchmal die Gesellschaft eines Jüngeren, einen Kräftigeren in ihren Armen? Hatte er sich so sehr mit ihrem Gesicht beschäftigt, dass er alles andere
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