Brunetti 18 - Schöner Schein
würde.
»In Ordnung«, sagte sie schließlich.
»Und das heißt?«, fragte Brunetti, um Pucetti die dumme Frage zu ersparen.
»Ich besorge Ihnen die Nummer.« Als sie sich erheben wollte, sprang Pucetti hinzu und rückte ihren Stuhl beiseite. »Das geht ohne Risiko«, erklärte sie. »Ich rufe Sie dann an, Signore.«
Brunetti und Pucetti verließen ihr Büro.
Zwanzig Minuten später löste sie ihre Zusage ein und gab ihm Signorina Landis Handynummer durch, aber der Teilnehmer war nicht erreichbar. Und es kam keine Aufforderung, eine Nachricht zu hinterlassen.
Um sich abzulenken, zog Brunetti den ältesten Stapel der Akten heran, die sich auf seinem Schreibtisch angesammelt hatten, zwang sich zur Konzentration und begann sie durchzulesen. Ispettore Vianello hatte von einem Informanten den Tipp bekommen, einmal gewisse Geschäfte in der Calle della Mandola, die in letzter Zeit den Besitzer gewechselt hatten, unter die Lupe zu nehmen. Falls es da, wie der Informant vermutete, um Geldwäsche ging, brauchte er sich keine Gedanken darüber zu machen: Das wäre eine Sache für die Guardia di Finanza.
Außerdem kam er nur selten durch diese Straße und hatte, als er die Schaufensterauslagen vor seinem inneren Auge Revue passieren ließ, nur wenig Anhaltspunkte für etwaige Veränderungen. Das Antiquariat war noch da, ebenso die Apotheke und der Optiker. Die andere Straßenseite war schwieriger, denn dort war manches neu. Geschäfte, die trendiges Olivenöl und Fertigsaucen verkauften, Glaswaren, dann der Obsthändler und der Blumenladen, der im Frühjahr als Erster Flieder nach draußen stellte. Sie könnten sich dort umhören, nahm er an, aber damit kämen sie auch nicht viel weiter als bei den Ermittlungen zu Ranzato. Sollten sie vielleicht in der Straße herumspazieren und die Camorra durch lautes Rufen auffordern, aus ihrem Versteck zu kommen?
Vor Monaten hatte er in einer von Chiaras Tierzeitschriften etwas über eine Krötenart gelesen, die man nach Australien eingeführt hatte, um sie im Kampf gegen Schädlinge einzusetzen, die die Zuckerrohrernte gefährdeten. Da aber die Kröte - war es die Agakröte? - keine natürlichen Feinde besaß, konnte sie sich ungehindert vermehren. Wie sich erst herausstellte, als ihre Ausbreitung auf dem Kontinent nicht mehr zu stoppen war, konnte ihr Gift sogar Hunde und Katzen töten. Agakröten waren selbst dann noch nicht tot, wenn man sie aufspießte, durchbohrte oder mit dem Auto überfuhr. Nur die Krähen hatten gelernt, sie zu töten, indem sie sie auf den Rücken warfen und ihre Eingeweide fraßen.
Gab es einen besseren Vergleich mit der Mafia? Von den Amerikanern nach dem Krieg wieder zum Leben erweckt, um die vermeintliche kommunistische Bedrohung zu bekämpfen, war sie außer Kontrolle geraten und hatte sich wie die Agakröte unaufhaltsam im ganzen Land ausgebreitet. Man konnte sie aufspießen und durchbohren, sie kam immer wieder ins Leben zurück. »Wir brauchen Krähen«, stöhnte Brunetti laut, und als er aufblickte, stand Vianello in der Tür.
»Der Autopsiebericht«, sagte Vianello, als habe er Brunettis Seufzer nicht gehört. Er reichte ihm einen Umschlag und nahm vor dem Schreibtisch Platz, noch bevor Brunetti ihm ein Zeichen gegeben hatte.
Brunetti schlitzte den Umschlag auf und zog die Fotos heraus; zu seiner Überraschung waren sie nicht größer als Postkarten. Er legte sie auf seinen Schreibtisch, daneben den Bericht. Er sah Vianello an, der sich ebenfalls wunderte, wie klein die Fotos waren.
»Sparmaßnahme, vermute ich«, bemerkte Vianello.
Brunetti klopfte den Stapel zurecht und machte sich ans Studium der Tatortfotos, die er eins nach dem anderen an Vianello weiterreichte. Postkartengröße: War das nicht das neue Italien in Perfektion? Schon entwarf er eine neue Serie von Tourismusplakaten und Souvenirs: die elende Hütte, in der Provenzano verhaftet worden war; die illegal mitten in Nationalparks errichteten Hotelkomplexe; die zwölfjährigen moldawischen Prostituierten am Straßenrand.
Oder vielleicht Spielkarten? Mit Bildern von Leichen? Die Fotos von Toten aus den letzten Jahren, einschließlich Guarino, reichten für ein komplettes Kartenspiel. Vier Farben: Palermo, Reggio Calabria, Neapel, Catania. Und wen könnte man als Joker nehmen? Der für alle anderen einspringen konnte? Er dachte an den Minister, den sie angeblich in der Tasche hatten - der wäre genau der Richtige.
Vianello holte ihn mit einem vorsichtigen Hüsteln aus seinen
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