Brunetti 18 - Schöner Schein
vergessen hatte?
Aber dennoch: warum dieser Gangster? Immer wieder kam Brunetti auf diese Frage zurück. Er und Paola kannten sich genügend in der Stadt aus, um Bescheid zu wissen, welche Frauen der Reichen und Mächtigen Trost in den Armen anderer Männer suchten. Doch dabei blieb man in der Regel unter sich, im Freundes- und Bekanntenkreis: Auf diese Weise war Diskretion gesichert.
Und was sollte dann das Gerede von ihrer Angst vor einer Entführung? Vielleicht hatte Brunetti ihre Geschichte von dem Computereindringling allzu schnell abgetan; womöglich stammten die Spuren in den Firmencomputern gar nicht von Signorina Elettra, sondern von jemand anderem, der sich für Cataldos Vermögen interessierte. Andererseits war es einem Mann mit Terrasinis Vergangenheit zwar ohne weiteres zuzutrauen, dass er auch einmal eine Entführung plante, doch schien er nicht der Typ zu sein, der zu diesem Zweck als Erstes fremde Computer ausforschen würde.
Conte Falier hatte Vorjahren einmal gesagt, ihm sei noch nie jemand begegnet, der unempfindlich gegen Schmeichelei gewesen wäre. Brunetti war damals noch jünger und hatte das so aufgefasst, als billige der Conte die Schmeichelei im Umgang miteinander, doch als er ihn besser kennenlernte, wurde ihm klar, dass dies nur eines der vielen unbestechlichen Urteile des Conte zum Wesen des Menschen gewesen war. »Und Cataldos Frau hat sich angestrengt, um dich zu beeindrucken«, hörte er Paolas Stimme wieder. Wenn er alle Sympathie für die Frau ausklammerte: Wie viel von dem, was sie ihm erzählt hatte, würde er ihr dann noch glauben? Hatte er sich davon bestechen lassen, dass sie Ovids Fasti gelesen hatte und er nicht?
21
B runetti rief im Bereitschaftsraum an und fragte nach Vianello. Der Ispettore hatte keinen Dienst, aber jemand gab den Hörer an Pucetti weiter. Inzwischen wussten alle: Wenn Vianello nicht da war, wollte Brunetti mit Pucetti sprechen. »Kommen Sie bitte mal herauf?«, fragte Brunetti.
Wenige Sekunden, nachdem Brunetti aufgelegt hatte, betrat Pucetti schwungvoll das Büro, die Wangen gerötet, als sei er die Treppe hinaufgelaufen oder -geflogen. »Ja, Commissario?«, sagte er eifrig. Brunetti fand, er habe etwas von einem Hund, der an der Leine zerrte. Offenbar konnte er es kaum erwarten, etwas anderes zu tun als das, was er unten gerade getan hatte.
»Gilda Landi«, sagte Brunetti.
»Ja, Signore?« Pucetti schien nicht überrascht, nur neugierig.
»Eine Zivilangestellte bei den Carabinieri. Das heißt, ich vermute, sie ist eine Zivilperson, und ich vermute, es sind die Carabinieri. Es könnte auch etwas anderes sein. Vielleicht das Innenministerium. Versuchen Sie bitte herauszufinden, wo sie arbeitet und, falls das möglich ist, was genau sie da macht.« Pucetti salutierte hastig und ging los.
Brunetti hatte keinen Grund, sich zu Hause für das Mittagessen abzumelden - außer, dass er den ganzen Vormittag an eine andere Frau gedacht hatte. Als er anrief, stellte Paola keine Fragen, was Brunetti mehr beunruhigte, als wenn sie ungehalten reagiert hätte. Er verließ die Questura und ging nach Castello, wo er in einer der schlimmsten Touristenfallen einen üblen Fraß zu sich nahm; als er ging, fühlte er sich gleichermaßen betrogen wie entlastet, als habe er Abbitte dafür geleistet, dass er Paola nicht die Wahrheit gesagt hatte.
Wieder in der Questura, warf er einen Blick in den Bereitschaftsraum, aber Pucetti war nicht da. Als er dann bei Signorina Elettra eintrat, saß sie an ihrem Computer, und Pucetti stand hinter ihr und sah gebannt den Bildschirm an.
»Ich musste sie um Hilfe bitten, Signore«, erklärte Pucetti. »Allein bin ich nicht weitergekommen. An einer Stelle hätte ich, wenn ich -«
Brunetti winkte ab. »Schon gut. Das hätte ich Ihnen gleich empfehlen sollen.« Dann zu Signorina Elettra, die ihn kurz angesehen hatte: »Ich wollte Sie nicht noch mehr belasten. Ich hatte keine Ahnung, dass das so ...« Er verstummte.
Lächelnd sah er sie an, und plötzlich dachte er, die beiden seien so etwas wie seine Ersatzkinder in der Questura, Vianello ihr Onkel. Und was war dann Patta? Der kauzige Großvater? Und Scarpa der böse Stiefbruder? Er riss sich von diesen Gedanken los und fragte: »Haben Sie sie gefunden?«
Pucetti trat zurück und überließ Signorina Elettra die Bühne. »Als Erstes habe ich mir das Innenministerium vorgenommen«, sagte sie. »Man kommt leicht in ihr System rein, bis zu einer gewissen Ebene.« Sie sprach ruhig und
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