Brunetti 18 - Schöner Schein
hohe Absätze sie so groß wie Brunetti machten.
Sobald er an Deck war, legte das Taxi ab und jagte den Canal Grande hinauf Richtung Casinó. Brunetti erklärte ihr alles, so gut es ging, und schloss mit dem, was Ribasso von seinen Scharfschützen gesagt hatte.
Als er fertig war, fragte sie nur: »Und Pucetti?«
»Seine Hand ist verbrannt; der Arzt sagt, es hätte schlimmer kommen können, das einzige Risiko ist jetzt eine Infektion.« »Und was war das?«, fragte sie.
»Weiß der Himmel. Irgendein Zeug, das aus den Fässern gelaufen ist.«
»Der arme Junge«, sagte sie mit viel Gefühl, dabei konnte sie höchstens zehn Jahre älter sein als Pucetti.
Als der Palazzo Vendramin Calergi zu ihrer Linken auftauchte, gingen sie an Deck. Der Fahrer hielt auf den Landungssteg zu, legte den Rückwärtsgang ein und brachte das Boot einen Millimeter vor dem Steg zum Stehen. Als Griffoni ihre mit Pailletten besetzte Tasche aufmachte, sagte der Fahrer nur: »Claudia, per piacere«, und bot ihr den Arm, um ihr von Bord zu helfen.
Froh, dass er im Krankenhaus daran gedacht hatte, sich mit einem Handtuch Schuhe und Mantel zu säubern, trat Brunetti dicht hinter ihr auf den roten Teppich, und dann schritten sie Arm in Arm auf die offene Eingangstür zu.
Drinnen empfingen sie Licht und Wärme: wie so ganz anders als der Ort, an dem er gerade noch mit Vianello und Pucetti gewesen war. Er sah auf die Uhr: weit nach eins. Schlief Paola schon, oder wartete sie, vielleicht in Gesellschaft von Henry James, auf ihren rechtmäßig angetrauten Ehemann? Er lächelte bei dem Gedanken, und Griffoni fragte: »Was ist?«
»Nichts. Ich habe nur an etwas gedacht.«
Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu, dann gingen sie über den Hof und die Treppe hinauf durch den Haupteingang. Am Empfang fragte Brunetti nach Vasco, und als er kurz darauf zu ihnen trat, konnte er weder seine Aufregung noch, als er eine andere Frau an Brunettis Seite bemerkte, seine Überraschung verbergen.
»Commissario Griffoni«, sagte Brunetti und genoss Vascos offenkundige Verblüffung, die er zu überspielen versuchte, indem er sie bat, ihm zu folgen und ihre Mäntel in seinem Büro abzulegen. Dort gab er Brunetti eine Krawatte, und während der sie umband, sagte Vasco: »Er ist oben am Blackjack-Tisch. Seit ungefähr einer Stunde.« Und noch überraschter als zuvor beim Anblick der Kommissarin fügte er hinzu: »Er gewinnt.« Es hörte sich an, als sollte so etwas in diesem Haus eigentlich nicht passieren.
Die beiden Commissari folgten Vasco die Treppe hinauf in den ersten Stock. Alles war so, wie Brunetti es in Erinnerung hatte: dieselben Leute, derselbe Eindruck von körperlichem und moralischem Verfall, dasselbe weiche Licht auf Schultern und Juwelen.
Vasco führte sie durch die Roulettesäle zu dem Raum, in dem Brunetti die Kartenspieler beobachtet hatte. Vor der Tür blieb er stehen und bat sie zu warten, bis er am anderen Ende des Raums angelangt sei. Er habe bereits mit Terrasini zu tun gehabt, der Mann solle besser nicht sehen, dass sie zusammengehörten.
Vasco ging hinein und schlenderte auf einen der Tische zu, die Hände lässig auf dem Rücken wie ein Abteilungsleiter oder ein Bestatter. Brunetti entging nicht, dass Vasco mit dem rechten Zeigefinger auf den Tisch links von ihm deutete, auch wenn seine ganze Aufmerksamkeit auf einen anderen Tisch gerichtet schien.
Als Brunetti dort hinsah, trat gerade jemand vom Tisch weg und gab den Blick auf den jungen Mann frei, der auf der gegenüberliegenden Seite saß. Brunetti erkannte sofort die auffällig schräg stehenden Augenbrauen, die aussahen wie mit geometrischer Präzision aufgemalt. Große dunkle Augen, die ungewöhnlich stark glänzten und nur aus der Iris zu bestehen schienen, ein breiter Mund, schwarzes, gegelltes Haar, das dicht an der linken Braue vorbeiführte, ohne sie zu berühren. Er war unrasiert, und als er seine Karten aufhob, sah Brunetti große Hände mit dicken Fingern, die Hände eines Arbeiters.
Jetzt schob Terrasini einen kleinen Stapel Jetons nach vorne. Der Mann neben ihm warf seine Karten hin. Der Croupier nahm noch eine Karte. Terrasini schüttelte den Kopf. Der Mann neben ihm nahm ebenfalls noch eine Karte, dann warf auch er seine Karten hin. Der Croupier nahm noch eine, dann warf auch er seine Karten auf den Tisch und schob die Jetons in Terrasinis Richtung.
Die Mundwinkel des jungen Mannes bogen sich nach oben, aber nicht erfreut, sondern höhnisch. Der Geber teilte jedem
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