Brunetti 18 - Schöner Schein
Pistole in der Hand unten auf dem Absatz stehen und rannten wie von der Tarantel gestochen die Treppe hoch und durch die Tür in den Spielsaal, aus dem kein Laut zu hören war. Brunetti sah die Doppeltür von der Gewalt des Zuschlagens vibrieren, hörte aber immer noch nur dieses Rauschen.
Er drehte sich wieder um. Franca Marinello warf die Pistole gleichgültig auf Terrasinis Brust, sah zu Brunetti hinauf und sagte etwas, das er nicht hören konnte, so laut war das Rauschen in seinem Ohr, so dicht war die Glasglocke um ihn herum geschlossen.
Dann drang bleiern und dumpf etwas durch das Rausehen, und als er sich danach umwandte, sah er Griffoni auf sich zukommen: Offenbar waren das ihre Schritte gewesen. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte Brunetti. Griffoni verstand und nickte.
Franca Marinello kauerte an der Wand, so weit weg von Terrasini wie möglich, das Gesicht an die Knie gepresst. Noch hatte niemand bestätigt, dass der junge Mann tot war, aber Brunetti wusste, da lag eine Leiche: Aus dem Hinterkopf sickerte Blut auf den Marmorboden.
Er wunderte sich, wie steif seine Knie waren, wie sie sich sträubten, ihn die Treppe hinunterzutragen. Er spürte seine Schritte, hörte sie aber nicht. Er ging um Terrasini herum und ließ sich neben der Frau auf ein Knie nieder. Wartete, bis er sicher war, dass sie ihn wahrgenommen hatte, und sagte dann, froh, wenigstens seine Stimme hören zu können, wenn auch noch so leise: »Alles in Ordnung mit Ihnen, Signora?«
Sie hob den Kopf und zeigte ihm ihr Gesicht, das er noch nie aus solcher Nähe gesehen hatte. Die schrägstehenden Augen sahen von nahem noch seltsamer aus, und plötzlich bemerkte er eine dünne Narbe, die unter ihrem linken Ohr begann und dahinter verschwand.
»Haben Sie Zeit gefunden und die Fasti gelesen?«, fragte sie, und Brunetti war sich nicht sicher, ob sie unter Schock stand.
»Nein«, sagte er. »Ich bin nicht dazu gekommen.«
»Schade«, sagte sie. »Da steht alles drin. Alles.« Sie ließ den Kopf wieder auf ihre Knie sinken.
Brunetti wusste nicht, was er noch sagen sollte. Er stand auf und sah in Richtung der Geräusche, die er zu seiner grenzenlosen Erleichterung hören konnte. Vasco stand oben an der Treppe wie ein Riese aus einem Actionfilm, eine Zeichentrickfigur wie Conan der Barbar, wie...
»Ich habe Ihre Leute angerufen«, sagte er. »Die müssten bald hier sein.«
Brunetti betrachtete den Kopf der schweigenden Frau und dann, am anderen Ende des Treppenabsatzes, den für immer verstummten Terrasini. Der lag auf dem Rücken. Brunetti musste an die andere Leiche denken, Guarino, und wie furchtbar ähnlich sich diese beide Männer geworden waren, beide so entsetzlich schnell aus dem Leben gerissen.
26
N ach einigen Minuten allgemeiner Verwirrung gelang es Vasco, die Leute in den oberen Spielsälen mit der Behauptung zu beruhigen, es habe einen Unfall gegeben. Sie glaubten es nur zu gerne, machten sich wieder ans Verlieren, und das Leben ging weiter.
Claudia Griffoni nahm Signora Marinello in die Questura mit, auch sie in einen langen Pelz gehüllt, denselben wie an dem Abend, als Brunetti sie zum ersten Mal gesehen hatte. Er wartete, während die Kriminaltechniker im Treppenhaus ihre Kameras aufbauten. Sie mussten, nachdem zwei Polizisten die Tat als Augenzeugen beobachtet hatten, nur noch den Tatort fotografieren, die Pistole sicherstellen und dann auf den medico legale warten.
Kurz vor drei rief er Paola an und sagte ihrer verschlafenen Stimme, es werde noch eine ganze Weile dauern, bis er nach Hause kommen könne. Nachdem Terrasini für tot erklärt war, bat Brunetti, auf dem Boot der Spurensicherung mitfahren zu dürfen, blieb aber bei dem Steuermann an Deck. Beide schwiegen; der Motor brummte unerklärlich leise, bis Brunetti sich an die drei Schüsse und das wattige Gefühl in seinen Ohren erinnerte. Sein Blick streifte die Fassaden der Gebäude, ohne sie wirklich wahrzunehmen, denn er war jetzt wieder im Treppenhaus, Zeuge eines Geschehens, das er nicht begreifen konnte.
Franca Marinello spricht mit Terrasini, der zieht seine Pistole; wieder sagt sie etwas, und er gibt sie ihr. Und als Brunetti kurz woanders hinsieht, geschieht etwas - sagt sie etwas? -, das ihn wütend macht. Sie schießt. Es gibt für alles eine vernünftige Erklärung, das wusste Brunetti. Keine Wirkung ohne Ursache. Die Obduktion würde ergeben, welche Substanzen sich im Gehirn des jungen Mannes befanden, aber zumindest solange Brunetti ihn
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