Buch des Todes
morgigen Pressekonferenz. Mit ein bisschen Glück können wir ihnen dann schon mehr über Vatten geben«, antwortete Brattberg.
»Eine Sache noch«, sagte Singsaker.
Alle sahen ihn an.
»Gibt es in Norwegen irgendwelche Experten für Serienmorde?«
»Was sollen wir denn mit denen?«, fragte Brattberg scharf. »Wir haben einen Mord, keine Serie.«
»Stimmt«, sagte er. »Aber die Art und Weise, wie dieser Mord begangen wurde, macht mich stutzig.Außerdem ist da ja auch noch der alte Vatten-Fall.«
»Es gibt da diesen einen Polizisten in Oslo. Ich erinnere mich nicht mehr an seinen Namen«, sagte Jensen. »Der hat irgendwann in den Neunzigern einen Serientäter in Australien geschnappt.Aber der hängt seitdem an der Flasche.«
»Hört sich nicht gerade vertrauenserweckend an, oder?«
»Einen Versuch ist es wert«, sagte Jensen mit seinem üblichen undramatischen Optimismus.
»Nein, das ist keinen Versuch wert«, sagte Brattberg. »Nur in amerikanischen Fernsehkrimis ruft man Serientäter-Experten zu Hilfe, wenn gerade mal ein Mord passiert ist. Das hier ist Reality, Norwegen, hier ermitteln wir nicht so.«
Singsaker kannte Gro Brattberg lange genug, um zu wissen, dass dieses Thema damit ein für alle Mal abgehakt war. Eigentlich schade. Er hätte den alkoholkranken Kollegen gerne kennengelernt.
Die Besprechung neigte sich ihrem Ende zu. Brattberg hatte den Raum bereits verlassen, als Jensen sich an Singsaker wandte:
»Ist schon okay, dass Brattberg nicht so begeistert von Täterprofilen ist, aber eine Sache würde ich trotzdem gerne wissen.«
»Und das wäre?«, fragte Singsaker.
»Was zum Henker hat der mit ihrer Haut vor?« Jensen breitete resigniert die Arme aus, ehe er seiner Chefin folgte.
Singsaker blieb stehen und dachte über die Frage seines Kollegen nach. Irgendetwas sagte ihm, dass sie wichtig war.Vielleicht wichtiger, als ihnen allen lieb war.
Nach der Besprechung rief Singsaker einen der Beamten an, die Jens Dahle über den Tod seiner Frau informiert hatten. Sie hatten ihn zu Hause angetroffen, als er sich gerade auf den Weg zur Arbeit machen wollte. Er war alleine gewesen. Die Nachricht über den brutalen Mord an seiner Frau schien ihm hart zugesetzt zu haben. Laut Aussage der Polizisten wollte er zu Hause bleiben, bis die Polizei wieder Kontakt mit ihm aufnahm.
Bevor er zu Jens Dahle fuhr, entschloss Singsaker sich, ihn zu googeln. Das Resultat zeigte einen Wissenschaftler von ganzer Seele.Abgesehen von den obligatorischen Treffern und verschiedenen Telefonverzeichnissen und sinnlosen Informationen über seinen Rang im jährlich wiederkehren den Steuerwettrennen – keine schlechte Platzierung – waren alle anderen Treffer wissenschaftliche Publikationen, Seminare, Konferenzen und Vorlesungen, eine Chronik in einer Tageszeitung. Das meiste wirkte unglaublich trocken, insbesondere für jemanden, der seinen täglichen Aquavit noch nicht getrunken hatte, und das an einem der härtesten Arbeitstage, an den er sich erinnern konnte.
Ein auf Englisch publizierter Artikel interessierte ihn mehr als die anderen. Er war in einer Datenbank gespeichert, die der neugierigen Allgemeinheit mit akademischem Geiz nur die erste Seite zeigte, der Rest des Artikels erforderte ein Abonnement, das sich nur Kultursnobs und öffentliche Insti tutionen leisten konnten. Doch Singsaker reichte schon die Überschrift: »Forensics of time«, die aktuelle Rechtsmedizin. Schon die Einleitung zeigte ihm, dass er etwas hatte, worüber er mit Jens Dahle reden konnte.
Der Artikel handelte von der Ausgrabung einer Grabstätte aus dem Spätmittelalter in Fosen vor etwa zwanzig Jahren. Schon in der Einleitung deutete Dahle – wenn auch mit der entsprechenden akademischen Distanz – an, dass Auffälligkeiten an einigen der Skelette auf Mordfälle hindeuteten. Die alten Knochen hatten Kerben, und es gab deutliche Hin weise auf stumpfe Gewalteinwirkung.Auch wenn das nicht ungewöhnlich für Grabstätten aus einer brutalen Epoche war, in der Mord zu den gewöhnlichen Todesursachen gehörte, fuhr er mit wissenschaftlicher Vorsicht fort, sei das Besondere an diesen Funden aber die auffällige Ähnlichkeit der Knochenschäden an den verschiedenen Skeletten. Der letzte Satz des Gratisabschnittes weckte Kommissar Singsakers Neu gier in hohem Maße.
»Haben wir es hier womöglich mit einem unbekannten Serientäter aus der Vergangenheit zu tun?« stand dort.
Es war inzwischen später Nachmittag. Jens Dahles Auto stand noch immer
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