Buch des Todes
in der Einfahrt und glänzte frisch gewaschen und poliert. Nichts deutete mehr auf das schlammige Hüttenwochenende hin.
Singsaker klingelte an der Tür.Während er wartete, gingen seine Gedanken zu ihrem morgendlichen Gespräch zurück. Jens Dahle hatte so frisch und zufrieden ausgesehen, für Singsaker war er der Inbegriff des kerngesunden Norwegers. Ein geschmackvoll gekleideter Mann, immer mit irgendeinem Markenshirt unter dem Hemd. Jemand, der sich auf dem kurzen Weg zur Hütte vom Bürohengst in einen Outdoormenschen verwandelte.
Es dauerte fast eine Minute, bis er hinter der Tür Schritte hörte. Hatte Dahle geschlafen? Dann wurde die Tür langsam geöffnet. Singsaker suchte nach Zeichen der Überraschung im Gesicht seines Gegenübers, der ihn bisher nur als selten auftauchenden Nachbarn kannte, aber Dahles Gesicht zeigte keine Reaktion.
Er sah niedergeschlagen aus, fahl, seine Falten waren tiefe Kerben. Er ist älter, als ich geglaubt hatte, dachte Singsaker. Jens Dahle war Vater von zwei Schulkindern, ein relativ alter Vater. Ein alter und jetzt auch sehr trauriger Vater.Aber obgleich Singsaker schon häufig Mördern gegenübergestanden hatte – darunter auch Väter und Ehemänner, die den Verlust ihrer eigenen Opfer auf herzzerreißende Weise betrauerten –, glaubte er nicht daran, jetzt vor einem Mörder zu stehen.
»Tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten«, sagte Jens Dahle. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Nein«, antwortete Singsaker. »Ich bin gekommen, um Ihnen zu helfen.«
»Ach ja, und worum geht es?«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen jemals etwas über mich erzählt habe«, sagte er. »Ich bin Polizist, und ich würde gerne mit Ihnen über Ihre Frau reden. Und über das, was passiert ist.« Er sah Dahle an, und es überraschte ihn, wie wenig sich das Gesicht seines Nachbarn veränderte. Es blieb versteinert und finster.
»Sie sind Polizist?«, fragte er monoton.
»Das ist richtig. Haben Sie Zeit für ein Gespräch?«
Jens Dahle öffnete die Tür und trat einen Schritt zur Seite.
»Kommen Sie herein«, sagte er.
Drinnen blieben sie auf einem noch nicht ganz fertig renovierten Flur stehen und sahen sich an. Der Boden war mit unbehandelten Kieferndielen ausgelegt, aber die Fußleisten fehlten noch. Dahle schien diese Arbeiten selbst zu machen. Ein Projekt, das möglicherweise erst zu Ende gebracht werden würde, wenn die Kinder groß waren. Normalerweise hätte das ein guter Gesprächseinstieg sein können, aber dafür war jetzt keine Zeit.
»Mein Beileid«, sagte Singsaker. »Das alles muss ein schreck licher Schock für Sie sein.«
Jens Dahle sah ihn unter schweren Augenlidern hinweg an.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, antwortete er. »Um ehrlich zu sein, wartet noch immer ein Teil von mir darauf, dass Gunn Brita gleich von der Arbeit nach Hause kommt.Als Sie geklingelt haben, lag ich auf dem Sofa und habe geschlafen. In meinem Traum habe ich Essen für sie gekocht. Fischsuppe. Sie liebte Fischsuppe, und ich habe ihr Lieblingsessen gekocht, obwohl ich wusste, dass die Kinder dann wieder protestieren. Es ist lange her, dass ich so etwas Alltägliches geträumt habe.«
Dahle schien deutlich abwesender zu sein, als Singsaker zuerst angenommen hatte. Um sicherzugehen, dass Dahle ihn verstand, sagte er:
»Die Situation ist ein wenig seltsam, wir haben ja schon oft miteinander gesprochen. Es ist aber wichtig, dass Ihnen in diesem Moment bewusst ist, dass ich Hauptkommissar Odd Singsaker von der Trondheimer Kriminalpolizei bin, und dass ich gekommen bin, um mit Ihnen über den Mord an Ihrer Frau Gunn Brita Dahle zu sprechen.«
Jens Dahle sah ihn etwas wacher an.
»Ich stehe unter Schock, das schon, aber ich habe nicht den Verstand verloren. Ich weiß sehr gut, wer Sie sind«, sagte er.
»Und sind Sie bereit, mir ein paar nicht ganz leichte Fragen zu beantworten?«, fragte Singsaker und fügte hinzu: »Wir können sonst auch warten.Aber je schneller Sie bereit sind, uns zu helfen, desto schneller können wir richtig in die Ermittlungen einsteigen.«
»Ich bin gerne bereit, Ihre Fragen gleich jetzt zu beantworten«, sagte Dahle. »Sollen wir uns setzen?«
Dahle führte ihn in eine fertig renovierte Küche. Eiche und weißes Laminat. Geschmackvoll. Hier sah es nach richtigen Handwerkern aus, für Singsaker ein Hinweis, dass Dahle Hobby-Heimwerker war, darüber hinaus aber auch Geld zu haben schien.
Sie setzten sich an einen gewaltigen Eichentisch, der den Raum
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