Buch des Todes
das Seufzen erinnerte er sich wieder.
Im Laufe einer kurzen Besprechung mit Brattberg und Jensen, bei der auch Staatsanwalt Knutsen anwesend war, wurde Vattens Status vom Zeugen zum Tatverdächtigen hochgestuft, wenn sie auch noch immer keine handfesten Beweise gegen ihn hatten. Seine Aussage war an vielen Stellen alles andere als glatt, aber eine konkrete Falschaussage konnten sie ihm nicht nachweisen. Bis jetzt wussten sie nur konkret, dass er sich zu dem Zeitpunkt, an dem Gunn Brita Dahle ermordet worden war, in der Bibliothek aufgehalten hatte, und dass er einer der sehr wenigen war, die mit ihr im Sicherheitstrakt gewesen sein konnten. Und natürlich sprach auch der frühere Mordverdacht gegen ihn. Mit etwas Glück half ihnen vor Gericht auch die Tatsache, dass er für die Überwachung zuständig war, sich aber ausgerechnet zum Zeitpunkt des Mordes keine DVD im Aufnahmegerät befunden hatte. Die Frage war nur, ob das ein Versehen gewesen oder aus kühler Berechnung geschehen war. Staatsanwalt Knutsen, ein vorsichtiger, glatzköpfiger Mann, der dem Rentenalter noch näher als Singsaker war, war die Beweislage vorerst noch zu unsicher, um darauf einzugehen.
»Geben wir ihm ein oder zwei Tage zu Hause«, sagte Brattberg. »Aber wir brauchen eine Speichelprobe von ihm, bevor wir ihn gehen lassen.«
»Ich glaube, wir haben vom letzten Mal noch eine«, sagte Jensen. Er saß mit einem Laptop vor sich am Tisch und bewegte vorsichtig die Maus. Thorvald Jensen war wie Singsaker ein Ermittler, der dann den professionellsten Eindruck abgab, wenn er nicht vor einem Computer saß. Sie beide waren anders als all die neuen Gesichter, die kaum etwas anderes taten, als im Internet herumzustöbern, und fest daran glaubten, dass man einen Fall ausschließlich elektronisch lösen konnte.
»Doch, ja, wir haben alles, was wir brauchen: vollwertige DNA, Fingerabdrücke und den ganzen Kram«, sagte Jensen.
»Gut! Es gibt erste Gerüchte aus dem St. Olavs Hospital, dass sie biologische Spuren gefunden haben«, sagte Brattberg.
»Das heißt?«
»Sexueller Kontakt«, stellte sie trocken fest und drückte zugleich unbewusst aus, was sie wirklich fühlte: Verachtung für die Tat, Mitgefühl, Trauer und eine Art tiefere Einsicht über menschliche Schwächen. Singsaker dachte, dass er an seiner Chefin gerade diesen trockenen, sachlichen Stil schätzte, der so viel mehr Erkenntnis und Menschlichkeit beinhaltete als bei den meisten anderen.
»Es wird natürlich noch eine Weile dauern, bis wir den endgültigen Obduktionsbericht bekommen. Die Leiche ist erst vor gut einer Stunde in der Gerichtsmedizin angekommen. Eine DNA-Analyse dauert Tage, vielleicht Wochen.Aber das heißt natürlich nicht, dass wir das, was wir wissen, nicht bereits im nächsten Verhör nutzen und ihn damit vielleicht ein bisschen mehr unter Druck setzen können. Parallel dazu müssen wir aber auch noch in andere Richtungen ermitteln. In erster Linie sollten wir dabei den Ehemann unter die Lupe nehmen, Jens Dahle.Auch Siri Holm ist nicht uninteressant. Sie war ebenfalls etwa zur Tatzeit in der Bibliothek.
Andererseits, wenn Vatten recht hat und sie direkt aus Oslo kommt, ist sie vermutlich keine heiße Spur. Jensen, du sprichst weiter mit den Angestellten. Dieses Mal lenkst du die Gespräche sachte in Richtung Vatten.
Singsakers Bluff, dass es sich bei den roten Flecken, die Grongstad gefunden hat, um Rotwein handeln könnte, schei nt schon einen gewissen Eindruck auf Vatten gemacht zu haben. Inzwischen hat sich übrigens herausgestellt, dass es tatsächlich Rotwein ist. Und die Flecken sind sogar ziemlich frisch. Sie könnten durchaus von Samstag stammen. Aber wir sollten das erst offiziell nutzen, wenn die Kriminaltechniker ihre Untersuchungen weitestgehend abgeschlossen haben. Außerdem sind drinnen im Sicherheitstrakt Fingerabdrücke gefunden worden. Ihr werdet sehen, ganz bald haben wir mehr auf dem Tisch. Bis dahin kümmerst du dich um den Ehemann und die neue Bibliothekarin, Singsaker.«
»Aye, aye, Sir«, sagte er.
»Aye, aye, Madam«, korrigierte Gro Brattberg ihn mit einem Lächeln.
»Was machen wir mit der Presse?«, wollte Thorvald Jensen wissen. »Die Sache kursiert bereits als Topnews bei allen In ternetzeitungen, und einige haben auch schon aufgeschnappt, dass wir Vatten verhören. Vermutlich war es nicht allzu schwer, die Leute in der Bibliothek zum Reden zu bringen.«
»Es sollte so wenig wie möglich an die Presse gehen. Jedenfalls bis zur
Weitere Kostenlose Bücher