Buch des Todes
einen trauernden Ehemann. Es gab keinen Grund, ihn des Mordes zu verdächtigen. Trotzdem trieb ihn etwas an, diesem Mann den Schweiß auf die Stirn zu treiben. Keine sympathische Eigenschaft, aber sicher eine, die ihn zu einem guten Ermittler machte. Jens Dahle geriet aber nicht so ins Schwitzen, wie Singsaker es sich wünschte.
»Sie können auf der Fähre bar bezahlen und auch die anderen Fotoboxen umgehen, aber es bleibt natürlich der Mautring rund um Trondheim. Leicht ist das nicht.«
Natürlich hatte Singsaker bereits an diesen Mautring gedacht.Was ihn aber interessierte, war die Frage, ob auch Dahle daran dachte. Er bewahrte trotz allem offensichtlich einen klaren Kopf. Jemand im Präsidium musste alle Mautstationen, Radarfallen und Fährübergänge überprüfen und nach seiner Autonummer, Kreditkarte oder anderen möglichen Spuren von ihm suchen. Diese Suche würde aller Voraussicht nach sein Alibi stützen. Dahle war nicht leicht zu durchschauen, aber wäre Singsaker ein Spieler, würde er darauf setzen, dass Dahle tatsächlich das gesamte Wochenende auf Fosen gewesen war.
»Sie verstehen sicher, dass wir alles überprüfen müssen«, sagte er.
»Ja, das verstehe ich.« Jens Dahle nahm sein Wasserglas und trank es in einem Zug halb leer.
»Sie sind Archäologe, ist das richtig?«
»Ja, das stimmt.«
»Und Sie arbeiten im Wissenschaftsmuseum?«
»Ja, auch das ist richtig.«
»Sie haben also quasi Wand an Wand mit Ihrer Frau gearbeitet? Dann kennen Sie doch sicher die Gunnerusbibliothek ganz gut?«
»Einigermaßen.Wir haben eigentlich immer darauf geachtet, uns nicht zu oft zu besuchen. Es war uns wichtig, dass jeder von uns seinen eigenen Arbeitsbereich hat. Die Leute aus der Bibliothek kenne ich eigentlich nur, wenn ich beruflich mit ihnen zu tun hatte. Unsere beiden Institutionen arbeiten ja teilweise zusammen.Außerdem brauchte ich natürlich immer wieder Stoff für meine Arbeit.«
»Dann sind Sie sozusagen Großausleiher?«
»Ja, das kann man sagen.«
»Wissen Sie, ob Ihre Frau mit einigen Kollegen näher befreundet war als mit anderen?«
»Nein, nicht wirklich. Gunn Brita hat – ich meine, hatte – eigentlich zu allen ein gutes Verhältnis, aber richtig befreundet war sie mit keinem von ihnen.«
»Und es gab auch niemanden, der etwas gegen sie hatte?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Dann glauben Sie nicht, dass jemand an ihrem Arbeitsplatz ihr den Tod gewünscht hat?«
Dahle sah ihn finster an und sagte:
»Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, wer sich so etwas wünschen könnte, weder an ihrem Arbeitsplatz noch sonst irgendwo.«
»Ganz Ihrer Meinung.« Singsaker machte eine Pause und nippte an dem nicht mehr ganz heißen, aber perfekt gebrühten Espresso.
»Wie muss ich mir Ihre Arbeit im Museum vorstellen?«, fragte er.
»Zurzeit bekleide ich eine wissenschaftliche Stellung, das heißt, ich leite einige Ausgrabungen, unterrichte und schreibe Artikel.«
»Aber Sie graben nicht selbst?«
»Nein, das kommt nur selten vor. Die eigentlichen Ausgrabungen werden von den Studenten in Ferienjobs gemacht oder von befristet angestellten Archäologen. Das ist eine ziemliche Drecksarbeit, wissen Sie. Manchmal bewegen wir uns scharf am Rand der Legalität, ich meine, was die Arbeitssicherheit betrifft und so.« Er lächelte ironisch.
»Ich bin neulich übrigens über einen Artikel gestolpert, den Sie vor langer Zeit geschrieben haben«, sagte Singsaker.
»Ach ja? Welchen?«
»›Forensics of time‹.«
Jens Dahle sah aus, als müsste er einen Moment nachdenken.
»Ach ja, der«, sagte er lächelnd. »Kein wirklich wissenschaftlicher Artikel. Ich habe ihn vor vielen Jahren geschrieben. Damals saß ich an meiner Doktorarbeit, wenn ich mich nicht irre.Wie sind Sie darauf gestoßen?«
»Im Netz, der war in so einer Datenbank.«
»Tja, über sein digitales Gedächtnis verliert man recht schnell den Überblick.Aber die Zeitschrift, die den Artikel publiziert hat, wird das Copyright schon im Blick haben.«
»Ich konnte nur die erste Seite lesen«, sagte Singsaker. »Wovon handelt der Rest?«
»Es ging um einen Fund, den wir damals auf dem Krangsås- Hof gemacht haben. Ganz in der Nähe von meiner Hütte. Im Mittelalter stand dort eine Kapelle mit einem alten Fried hof. In meinem Artikel über die Funde legte ich besonderes Gewicht auf die Tatsache, dass viele der gefundenen Skelette auffallend ähnliche Verletzungen hatten.Wir sind damals zu dem Schluss gekommen, dass die Menschen
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