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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Widerwillen zu verbergen:
    »Mir scheint, daß man nicht arbeitet, damit …« Aber er brach ab, er wiederholte nichts. »Ich wenigstens habe andere Ziele dabei vor Augen«, fügte er hinzu.
    Christian jedoch, dessen Augen wanderten, überhörte dies, denn er befand sich in Gedanken, und alsbald begann er eine Geschichte aus Valparaiso zu erzählen, eine Mord- und Todschlag-Affaire, bei der er persönlich zugegen gewesen war … »Aber da reißt der Kerl das Messer heraus – –« Aus irgendwelchen Gründen wurden solche Erzählungen, an denen Christian reich war, und über die Madame Grünlich sich köstlich amüsierte, während die Konsulin, Clara und Klothhilde sich entsetzten und Mamsell Jungmann nebst Erika mit offenem Munde zuhörten, von Thomas stets ohne Beifall aufgenommen. Er pflegte sie mit kühlen und spöttischen Bemerkungen zu begleiten und sich den deutlichen Anschein zu geben, als glaube er, daß Christian übertreibe und blaguiere … was sicherlich nicht der Fall war; aber er erzählte mit Verve und Farbe. Erfuhr Thomas es nicht gern, daß sein jüngerer Bruder weiter herumgekommen sei und mehr gesehen habe, als er? Oder empfand er mit Widerwillen ein Lob der Unordnung und der exotischen Gewaltthätigkeit in diesen Messer- und Revolver-Geschichten? … Fest steht, daß Christian sich durchaus nicht um die Ablehnung seiner Erzählungen vonseiten seines Bruders bekümmerte; er selbst war allzu sehr in Anspruch genommen von seinen Schilderungen, als daß er auf Erfolg oder Mißerfolg bei Anderen geachtet hätte, und wenn er geendet hatte, so blickte er nachdenklich und abwesend im Zimmer um.
    {297} Wenn überhaupt das Verhältnis der beiden Buddenbrooks zu einander mit der Zeit sich nicht zum Guten gestaltete, so war Christian dabei nicht derjenige, der es sich beifallen ließ, irgendwelche Gehässigkeit gegen seinen Bruder zu zeigen oder zu hegen, sich irgend eine Meinung, ein Urteil, eine Abschätzung desselben anzumaßen. Er ließ mit stillschweigender Selbstverständlichkeit keinen Zweifel darüber, daß er die Überlegenheit, den größeren Ernst, die größere Fähigkeit, Tüchtigkeit und Respektabilität des Älteren anerkannte. Aber gerade diese unbegrenzte, gleichgültige und kampflose Unterordnung reizte Thomas, denn Christian ging bei jeder Gelegenheit leichten Herzens so weit darin, daß es den Anschein gewann, als lege er überhaupt gar keinen Wert auf Überlegenheit, Tüchtigkeit, Respektabilität und Ernst.
    Er schien es durchaus nicht zu bemerken, daß der Firmenchef ihm mehr und mehr mit stillem Unwillen entgegenkam … wozu derselbe Gründe hatte, denn leider begann Christians geschäftlicher Eifer bereits nach der ersten Woche, mehr noch jedoch nach der zweiten, sich erheblich zu verringern. Dies äußerte sich zuerst darin, daß die Vorbereitungen zur Arbeit, die anfangs wie eine künstlich und raffiniert verlängerte Vorfreude ausgesehen hatten: das Zeitunglesen, Frühstückscigaretten-Rauchen und Cognactrinken, immer mehr Zeit in Anspruch nahmen und sich schließlich über den ganzen Vormittag erstreckten. Dann aber machte es sich ganz von selbst, daß Christian sich über den Zwang der Comptoirstunden hinwegzusetzen begann, daß er des Morgens immer später mit seiner Frühstückscigarette erschien, um Vorbereitungen zur Arbeit zu treffen, daß er mittags zum Essen in den »Klub« ging und zu spät, zuweilen erst abends, zuweilen auch gar nicht zurückkehrte …
    Dieser Klub, dem vorwiegend unverheiratete Kaufleute angehörten, besaß im ersten Stock eines Weinrestaurants ein paar {298} comfortable Lokalitäten, woselbst man seine Mahlzeiten nahm und sich zu zwanglosen und oft nicht ganz harmlosen Unterhaltungen zusammenfand: denn es gab eine Roulette. Auch einige, ein wenig flatterhafte Familienväter wie Konsul Kröger und selbstverständlicherweise Peter Döhlmann waren Mitglieder, und der Polizeisenator Cremer war hier »der erste Mann an der Spritze«. So drückte Doktor Gieseke, Andreas Gieseke, Sohn des Branddirektors, sich aus, Christians alter Schulkamerad, der in der Stadt sich als Rechtsanwalt niedergelassen hatte, und dem sich, trotzdem er für einen ziemlich wüsten Suitier galt, der junge Buddenbrook alsbald in erneuerter Freundschaft anschloß.
    Christian, oder, wie er schlecht und recht meistens genannt wurde, Krischan, der aus früherer Zeit mit Allen mehr oder weniger bekannt oder befreundet war, – denn die Meisten waren Schüler des seligen

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