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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Rathauses hinüber.
    *
    Wie es in der Natur der Dinge lag, gingen Amt und Titel des königlich niederländischen Konsulates, das Thomas sofort nach dem Tode seines Vaters hätte für sich in Anspruch nehmen können, zu Tony Grünlichs maßlosem Stolze jetzt an ihn über, und das gewölbte Schild mit Löwen, Wappen und Krone war nunmehr wieder an der Giebelfront in der Mengstraße unter dem »Dominus providebit« zu sehen.
    Gleich nach Erledigung dieser Angelegenheit, im Juni bereits desselben Jahres, trat der junge Konsul eine Reise an, eine Geschäftsreise nach Amsterdam, von der er nicht wußte, wieviel Zeit sie in Anspruch nehmen werde.

5.
    Todesfälle pflegen eine dem Himmlischen zugewandte Stimmung hervorzubringen, und Niemand wunderte sich, aus dem Munde der Konsulin Buddenbrook nach dem Dahinscheiden ihres Gatten diese oder jene hochreligiöse Wendung zu vernehmen, die man früher nicht an ihr gewohnt gewesen war.
    Bald jedoch zeigte es sich, daß dies nichts Vorübergehendes war, und rasch war in der Stadt die Thatsache bekannt, daß die Konsulin gewillt war, das Andenken des Verewigten in erster Linie dadurch zu ehren, daß sie, die schon in den letzten Jahren seines Lebens, und zwar seit sie alterte, mit seinen geistlichen Neigungen sympathisiert hatte, nun seine fromme Weltanschauung vollends zu der ihren machte.
    {304} Sie strebte danach, das weitläufige Haus mit dem Geiste des Heimgegangenen zu erfüllen, mit dem milden und christlichen Ernst, der eine vornehme Herzensheiterkeit nicht ausschloß. Die Morgen- und Abendandachten wurden in ausgedehnterem Umfange fortgesetzt. Die Familie versammelte sich im Eßsaale, während das Dienstpersonal in der Säulenhalle stand, und die Konsulin oder Clara verlasen aus der großen Familienbibel mit den ungeheuren Lettern einen Abschnitt, worauf man aus dem Gesangbuch ein paar Verse zum Harmonium sang, das die Konsulin spielte. Auch trat oft an die Stelle der Bibel eines der Predigt- und Erbauungsbücher mit schwarzem Einband und Goldschnitt, dieser Schatzkästchen, Psalter, Weihestunden, Morgenklänge und Pilgerstäbe, deren beständige Zärtlichkeit für das süße, wonnesame Jesulein ein wenig widerlich anmutete und von denen allzuviele im Hause vorhanden waren.
    Christian erschien nicht oft zu den Andachten. Ein Einwand, den Thomas bei Gelegenheit ganz vorsichtig und halb im Scherze gegen die Übungen erhoben hatte, war mit Milde und Würde zurückgewiesen worden. Was Madame Grünlich anging, so benahm sie sich leider nicht immer völlig korrekt dabei. Eines Morgens – es war gerade ein fremder Prediger bei Buddenbrooks zu Gast – war man genötigt, zu einer feierlichen, glaubensfesten und innigen Melodie die Worte zu singen:
    »Ich bin ein rechtes Rabenaas,
    Ein wahrer Sündenkrüppel,
    Der seine Sünden in sich fraß,
    Als wie der Rost den Zwippel.
    Ach Herr, so nimm mich Hund beim Ohr,
    Wirf mir den Gnadenknochen vor
    Und nimm mich Sündenlümmel
    In deinen Gnadenhimmel!«
    {305} … worauf Frau Grünlich vor innerlicher Zerknirschung das Buch von sich warf und den Saal verließ.
    Die Konsulin selbst aber verlangte weit mehr noch von sich, als von ihren Kindern. Sie richtete zum Beispiel eine Sonntagsschule ein. Am Sonntag Vormittag klingelten lauter kleine Volksschul-Mädchen in der Mengstraße, und Stine Voß, die an der Mauer, und Mike Stuht, die in der Glockengießer-Straße, und Fike Snut, die an der Trave oder in der Kleinen Gröpelgrube oder im Engelswisch zu Hause war, wanderten mit ihrem semmel-blonden , mit Wasser gekämmten Haar über die große Diele in das helle Gartenzimmer, dort hinten, das als Comptoir seit längerer Zeit nicht mehr benutzt wurde, wo Sitzbänke aufgeschlagen waren, und wo die Konsulin Buddenbrook, geborene Kröger, mit ihrem Kleid aus schwerem schwarzen Atlas, ihrem weißen, vornehmen Gesicht und ihrer noch weißeren Spitzenhaube, ihnen an einem Tischchen, auf welchem ein Glas Zuckerwasser stand, gegenübersaß und sie eine Stunde lang katechisierte.
    Auch begründete sie den »Jerusalemsabend«, und an diesem mußte außer Clara und Klothhilde auch Tony sich wohl oder übel beteiligen. Einmal wöchentlich saßen an der langausgezogenen Tafel im Eßsaale beim Scheine von Lampen und Kerzen etwa zwanzig Damen, die in dem Alter standen, wo es an der Zeit ist, sich nach einem guten Platze im Himmel umzusehen, tranken Thee oder Bischof, aßen fein belegtes Butterbrot und Pudding, lasen sich geistliche Lieder und Abhandlungen

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